Betreutes Einzelwohnen - Soviel Freiheit wie möglich - Eine Kampagne der Stephanus-Stiftung

So viel Freiheit wie möglich.

Die Zwillingsschwestern Barbara und Helga haben die meiste Zeit ihres Lebens in Heimen verbracht. Mit 60 leben sie nun so selbstständig wie nie zuvor. Die Stephanus-Stiftung hilft so viel wie nötig – und so wenig wie möglich.

In die erste eigene Wohnung zu ziehen ist eine aufregende Sache – auch wenn man schon 60 Jahre Lebenserfahrung hat wie Helga Papenfuß. Seit Frühjahr 2015 lebt sie in ihrem neuen Zuhause in Berlin-Hohenschönhausen, ganz für sich allein. „Mein ganzes Leben war ich immer mit meiner Schwester zusammen“, erzählt Helga. „Auch als wir schon groß waren. Alleine hatte ich Angst. Wir haben auch immer die gleichen Sachen angezogen.“

Auch heute beim Erzählen tragen die Zwillinge Helga und Barbara Papenfuß ähnliche Kleidungsstücke: ein hellgraues Oberhemd, auf dem Kragen glitzern feine Strass-Steinchen. Bei beiden sind die rotbraunen Haare sorgfältig links gescheitelt. Mit dem gemeinsamen Auftritt zeigen die Geschwister, dass sie nichts auseinanderbringen kann. Gemeinsam haben sie schon vieles durchgestanden.

Als Säuglinge kamen die beiden ins Heim. Ihre Mutter galt den damaligen Behörden als „arbeitsscheu“. Die Kinder sollten in anderen Verhältnissen aufwachsen. „Im Heim musste man arbeiten“, erinnert sich Barbara Papenfuß an diese Zeit. „Wir haben die Holztreppe mit der Hand gebohnert, vorm Frühstück noch. Wenn du das nicht geschafft hast, musstest du ohne Frühstück zu Schule.“ 1971 wechselten die beiden in ein Kinderheim der Stephanus-Stiftung.

„Barbara und Helga kommen aus einer überbehüteten Heim-Situation“, erklärt Maja Herbst. Die Sozialarbeiterin betreut Helga Papenfuß seit vielen Jahren. „Deshalb ist es für sie schwer herauszufinden, was sie können und was nicht.“ Die eigene Wohnung war für Helga ein riesiger Schritt in die Selbstständigkeit. „Betreutes Einzelwohnen“ heißt das in der Fachsprache. Helga lebt privat und unabhängig, aber sie weiß: Wenn sie Hilfe braucht, kann sie sich an ihre Betreuerin wenden. Zweimal in der Woche treffen sich Helga und Maja. Ein häufiges Thema ist „der Schreibkram“, wie Helga es nennt. Gerade erst hat sie ein Brief von ihrem Strom-Lieferanten bekommen. „Die schreiben da immer so komische Wörter rin, die ich gar nicht verstehe“, so erklärt Helga das Problem.

Anfangs hatte Helga gar keine Lust, alleine zu sein. Aber dann ging es ganz schnell, als Barbara auf einer Kur ihren heutigen Partner kennenlernte. Mit dem wollte sie zusammenziehen. „Zwei, drei Jahre habe ich schon gebraucht, bis ich das auch gut fand“, erinnert sich Helga. „Ich hänge immer noch sehr an meiner Schwester.“ Zum Glück geht sie von ihrer neuen Bleibe in nur drei Minuten zu Barbara rüber.

„Wir versuchen so viel Freiheit zu lassen wie möglich“, erklärt Maja Herbst dieses Unterstützungsangebot der Stephanus-Stiftung für Menschen mit geistiger Behinderung. „Die Leute sollen wissen, was sie können. Das macht sie stark.“ Maja Herbst und ihre Kollegen organisieren deshalb auch Stammtische, Zeichenkurse, Fußballspiele und Fahrradausflüge. „Wir sagen: Das ist eure Stadt, nutzt die Möglichkeiten!

Helga und Barbara haben eine der schönsten Möglichkeiten der Stephanus-Stiftung von Anfang an genutzt: die Musik. „Als wir mit 17 hierher nach Weißensee gekommen sind, gab es immer Musik“, erinnert sich Helga. „Das hörte sich so schön an. Da hab ich zu Bärbel gesagt: Das wäre doch wat Schönes, wenn wir davon was üben.“ So kamen die Zwillingsschwestern zum Posaunen-Chor der Stiftung. Helga spielt die kleine Piccolo-Trompete, Barbara hat erst die Bass-Trompete gelernt und ist dann zum Tenorhorn gewechselt. Derzeit lernt sie Gitarre. „Und wenn mir langweilig ist, trommele ich ein bisschen auf der Buschtrommel“, erzählt Barbara.

Die beiden haben schon auf vielen Kirchentagen gespielt, in Leipzig, München und Hamburg. Regelmäßig treten sie mit ihrem Chor auch in Pflegeheimen auf. „Da spielen wir Ständchen, für die alten Leute, die nicht mehr richtig können“, berichtet Helga. Die Zwillinge aber können noch gut. Und bei Helga geht es ja erst so richtig los, jetzt wo sie ihre erste eigene Wohnung hat. Sie kann noch viel Freude an andere Menschen weitergeben. Typisch Bärbel und Helga. Echt Stephanus!

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