Hanfried Zimmermann

Hanfried Zimmermann ist Beauftragter des Vorstandes der Stephanus-Stiftung unter anderem für die Koordination des Geschäftsbereiches Migration & Integration.
UNERHÖRT! DIESE FLÜCHTLINGE.
An vielen Orten in unserem Land begegnet uns zurzeit dieser zunächst provozierende Ausspruch. Darunter aber findet sich eine Einladung. Nur ein Wort und doch so unendlich wichtig: Zuhören! Mit dieser Kampagne will die Diakonie Deutschland aufrütteln und eine Diskussion über soziale Teilhabe und das Miteinander in der Gesellschaft anstoßen. In früheren Monaten lautete die Überschrift darum schon Unerhört! diese Obdachlosen oder Unerhört! diese Alten. „Viele Menschen fühlen sich an den Rand gedrängt in einer immer unübersichtlicheren Welt, in der Gerechtigkeit auf der Strecke zu bleiben droht. Sie haben ein Recht darauf, gehört zu werden.“, sagt Diakoniepräsident Lilie.
Und jetzt also Unerhört! diese Flüchtlinge. Zuhören. Jedes Mal, wenn ich an einer solchen Plakatwand vorbeikomme, denke ich: Wenn uns das doch besser gelingen würde in unserer Gesellschaft. Wer von uns kennt schon wirklich die Schicksale der Menschen, die aus Angst, Verzweiflung, Perspektivlosigkeit ihre Heimat verlassen haben? Ja, das ist die überwiegende Mehrzahl derer, die Schutz, Hilfe, eine neue Lebenschance in unserem Land suchen, davon bin ich tief überzeugt. Die Berichterstattung aber in den Medien und auch die Gespräche unter uns, drehen sich so oft nur noch um die Probleme, die mit der Zuwanderung unzweifelhaft verbunden sind. Nein, wir dürfen diese nicht verschweigen, müssen uns offen damit auseinandersetzen. Fragen, Unsicherheiten, ja Ängste müssen ihren Raum finden. Wer sie benennt, darf nicht gleich in die neoliberale oder rechte Ecke gestellt werden. Behördenversagen muss aufgearbeitet werden. Geflüchtete, die das Recht anderer und deren Würde mit Füßen treten, können keine Bleibe in unserem Land haben.
Zugleich aber bewegt mich sehr und macht mir Angst, dass es sich an vielen Stellen unserer Gesellschaft nur noch darum dreht, wie wir unser Land schützen können vor Geflüchteten und wie wir die, die schon hier sind, möglichst schnell wieder loswerden. Kinder dürfen nicht zu ihren Vätern, Frauen nicht zu ihren Männern oder müssen über Jahre darauf warten. Abschiebungen in Kriegsgebiete, wie Afghanistan, scheinen kein Tabuthema mehr zu sein. Kinder, Frauen, Männer, die Schutz in unserem Land suchen, sollen zukünftig in Massenlagern mit über eintausend Plätzen auf ihr Asylverfahren warten müssen. Das dauert oft viele Monate, oft mehr als ein Jahr. Unmenschlich finde ich das alles und es untergräbt zudem alle Bemühungen um Integration. Aus der „Willkommenskultur“, die an vielen Orten unserer Gesellschaft in 2015/16 ein Zuhause fand, droht eine „Abschottungskultur“ zu werden.

Un-erhört diese Flüchtlinge. Zuhören! Der Anfang aller diakonischen Arbeit ist das Zuhören, die vorbehaltlose Zuwendung. Das war und ist der Ausgangspunkt unseres Stephanus-Engagements in der Arbeit für und mit Geflüchteten: Ihre oft traumatischen Geschichten wach wahrnehmen und zugleich ihre Sehnsucht, ihre Hoffnungen. Miteinander ins Gespräch kommen, erzählen von dem, was unser Leben, unser Land prägt. Nicht beim Mitleid stehen bleiben, sondern gemeinsam danach fragen, wo neue Lebensperspektiven möglich sind. Fördern und fordern, weil nur so ein Miteinander gelingen kann. Die Grundwerte unserer Gesellschaft wie die Gleichheit aller Menschen offensiv vertreten. Zugleich aber versuchen zu verstehen, aus welchem kulturellen und religiösen Hintergrund uns andere Prägungen und Handlungen begegnen, im Miteinander Lernchancen eröffnen. Eintreten dafür, dass eine offene, lebendige und vielfältige Gesellschaft weiterhin unser Land prägt, aber Abschottung, Ausgrenzung, ja Fremdenhass unter uns kein Zuhause finden. Jede und jeder von uns und wir als Stephanus insgesamt. Das ist mein großer Wunsch zum 140. Geburtstag unserer Stiftung.
Pfarrer Hanfried Zimmermann
Vergesst die Gastfreundschaft nicht, denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt. (Die Bibel)

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