Kochen am Bett in den Einrichtungen der Stephanus Wohnen und Pflege gGmbH

Kochen für die Sinne.

Mit ihren hundert Jahren ist Alma Schröder schon zu schwach, um sich selbst zu versorgen. Meist isst sie im Speisesaal ihres Pflegeheims am Weinbergsweg. Aber manchmal kocht Küchenchef Jens Hochhuth nur für sie, direkt am Bett. Das köstliche Erlebnis weckt kostbare Erinnerungen.

In der Vitrine von Alma Schröder steht feines Geschirr bereit, weißes Porzellan mit Goldrand. Leider kann Alma Schröder das schöne Service nicht mehr verwenden. Zum Kochen und Tischdecken fehlt ihr die Kraft. Verständlich: Mit 100 Jahren will der Körper nicht mehr so wie früher. Alma Schröder lebt deshalb im Haus am Weinbergsweg, einem Pflegewohnheim der Stephanus-Stiftung in Berlin-Mitte. Alma Schröder hat dort eine kleine Wohnung voll vertrauter Dinge: die Geschirr-Vitrine natürlich, aber auch ihre Gitarre, alte Gemälde und viele Fotos von den Söhnen und Enkelkindern. Normalerweise isst Alma Schröder zusammen mit den anderen Bewohnern in der Gemeinschaftsküche auf ihrer Etage. Manchmal aber passiert etwas Besonderes: Küchenchef Jens Hochhuth kocht dann nur für Alma Schröder – direkt an ihrem Bett. „Ich bin heute wieder ihr persönlicher Koch“, stellt sich der 44-Jährige vor. Auf dem Speiseplan steht ein Lieblingsgericht von Alma Schröder: Hähnchenbrust mit Rosmarinkartoffeln und Paprikagemüse. Jens Hochhuth trägt seine Arbeitskleidung: weißes Hemd mit schwarzen Knöpfen in Doppelreihe, schwarze Schürze und auf dem Kopf eine weiße Kochmütze. Sonst brutzelt der gelernte Hotelkoch in der Großküche für alle 100 Bewohner des Heims. Aber immer wieder mal bleibt Zeit für eine Aufmerksamkeit wie diese. Jens Hochhuth schiebt einen speziellen Servierwagen mit elektrischen Kochplatten ans Bett von Alma Schröder und bereitet das Tagesgericht vor ihren Augen zu. Alle Zutaten liegen bereit: Gelbe Paprika, eine gelbe Zitrone, ein Bund Möhren und ein großer Strauß frischer Kräuter. Keine Minute braucht der spezialisierte Diätkoch, um Zwiebeln und Paprika zu putzen und in feine Streifen zu schneiden. Alma Schröder sitzt entspannt im Bett, ihr Blick folgt jeder Bewegung.

Schon zieht der Duft von heißem Öl und Rosmarin durch den Raum. „Das riecht sehr gut“, stellt Alma Schröder fest. Jens Hochhuth reicht seinem Gast ein Sträußchen Rosmarin und erklärt: „Das kennen Sie vielleicht. Das Aroma erinnert an Tannennadeln.“ Schröder riecht einen Augenblick, sie nickt und sagt dann: „Das riecht schön frisch. Man denkt, man steht im Wald.“

Trotz des hohen Arbeitstempos erklärt Jens Hochhuth jeden Schritt. Immer wieder reicht er Zutaten weiter. Eine glänzend gelbe Paprikaschote wendet Alma Schröder versonnen in den Händen und murmelt: „Das ist wirklich ein Wunder der Natur.“ Nur mit den Fingerspritzen tastet sie vorsichtig über die harte Schale.

„Auf Kräuter und Gemüse reagiert Frau Schröder besonders stark“, erzählt Pflegedienstleiterin Katharina Caesar (55). „Zum Beispiel wenn wir gemeinsam durch unseren kleinen Kräutergarten vorm Haus gehen.“ Bei älteren Menschen ist das Langzeitgedächtnis meist stärker als das Kurzzeitgedächtnis. Vor allem Eindrücke aus der Kindheit wecken starke Gefühle. So kam das Team im Haus am Weinbergsweg auf die Idee mit der Koch-Show: Die Bewohner erinnern sich an alte Rezepte, der Koch setzt die Hinweise sofort um. „Durch den Geruch eines Apfels oder eines Kuchens sind plötzlich wieder alte Erinnerungen da“, erläutert Caesar.

Die gelbe Paprikaschote ist so ein starker Sinneseindruck für Alma Schröder. Die 100-Jährige ist in einer Landwirtschaft in Westpreußen aufgewachsen. „Als Kind habe ich Beete geharkt“, erzählt Schröder. 1936 zog sie nach Berlin, hatte auch dort mit ihrem Mann und den Kindern einen kleinen Garten. „Wir haben Petersilie angebaut“, erinnert sich Schröder, „auch Veilchen und Rosen.“ Alma Schröder ist nun hellwach. Nicht nur wegen Jens Hochhuths Kochkünsten, sondern auch weil ein Fotograf Aufnahmen macht. Sie legt den Zeigefinger ans Kinn und beobachtet die ungewöhnliche Geschäftigkeit in ihrem kleinen Zimmer. „Das ist mal was anderes“, stellt sie lächelnd fest.

Als das Gericht serviert ist, zieht sich Jens Hochhuth zurück. Im Speisesaal warten schon die anderen Bewohner auf das Mittagessen. Und Alma Schröder soll in Ruhe speisen können, unterstützt von Schwester Karin, ihre vertraute Pflegerin. „Das war schön“, sagt Jens Hochhuth und nimmt zum Abschied sanft die Hand von Alma Schröder. Die ergreift beherzt seine Hand und drückt sie an ihre Wange. „Danke, danke!“, sagt Alma Schröder. „Ihr werdet mir im Gedächtnis bleiben.“ Der Küchenchef lacht. Neben den vielen Gästen, die seine deftige Kost schätzen, hat er heute eine Bewohnerin besonders glücklich gemacht: Typisch Jens Hochhuth. Echt Stephanus!

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