Versöhnungsdienst in Israel

Sonja Wittwer und eine Pflegeheimbewohnerin

Sonja Wittwer begleitet ältere Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern.

Seit Jahren unterstützt die Stephanus-Stiftung die Organisation „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (ASF). Junge Menschen machen sich freiwillig auf in Länder, die einst unter Deutschland gelitten haben und leisten dort einen Versöhnungsdienst.

Nach ihrem Abitur ist Sonja Wittwer seit September 2020 in Jerusalem. Was die 18-jährige Berlinerin in den letzten Monaten dort erlebte und wie es ihr erging, hat sie uns in diesem Bericht geschrieben.

Am 9. September 2020 kam ich mit weiteren 21 ASF-Freiwilligen nachts im schwül-heißen Tel-Aviv an. Da Deutschland zu diesem Zeitpunkt noch ein „grünes Land“ war, mussten wir nicht in Quarantäne.

Vor Beginn des Lockdowns dann im Herbst war es uns noch möglich, erste Eindrücke vom Land zu bekommen. Das dreiwöchige Seminarprogramm zur Einführung war hochinteressant: Wir beschäftigten uns mit den Themen Judentum, israelische Demokratie, Nahostkonflikt. Gemeinsam lernen wir Hebräisch und feierten zusammen den jüdischen Feiertag Rosh HaShana.

Zusammen mit fünf anderen Freiwilligen teile ich jetzt eine Wohngemeinschaft am Rand von Jerusalem. Vorgesehen war ich für zwei Einsatzorte. Doch da die nationale Holocaust Gedenkstätte Yad VaShem geschlossen war, arbeitete ich vorübergehend in einem Pflegeheim. Erfahrungen in dieser Aufgabe hatte ich bis dahin keine, doch schnell habe ich die Arbeit lieben gelernt.

Die Einrichtung ist in Bereiche für Menschen mit unterschiedlichem Unterstützungsbedarf eingeteilt. Ich arbeite hauptsächlich mit Bewohnern, die relativ selbstständig sind. Eine große Herausforderung ist die Sprache: Die meisten Bewohner, wie auch ein Großteil des Personals, können kein Englisch. Auch wenn ich mich bemühe, mein Hebräisch zu verbessern kann es manchmal schwer sein, zu kommunizieren. Das ist eine neue, aber auch sehr wertvolle Erfahrung.

Allgemein unterstütze bei den Mahlzeiten oder bei Freizeitaktivitäten. Mit einem Bewohner spiele ich manchmal Dame - ein Spiel, dessen Regeln ich nicht kannte. Obwohl ich kein Hebräisch verstehe und er mir nichts erklären kann, verstehen wir uns gut.

Mein Hauptprojekt stellt für mich eine Art Gegenpol zur lauten, turbulenten Arbeit im Pflegeheim dar: Seit ein paar Wochen kann ich nun auch in Yad VaShem arbeiten und bin mit anderen im Archiv eingesetzt. In der Abteilung für deutschsprachige Dokumente katalogisieren wir gerade Gerichtsakten aus den Entnazifizierungsprozessen der 50er- und 60er Jahre. Wir sichten sie und schreiben dann englische Zusammenfassungen für die wissenschaftliche Datenbank – eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe.

Dabei geht es z. B. um Verbrechen ehemaliger GESTAPO Mitarbeiter an Juden und polnischen Fremdarbeitern. Diese Aufgabe gibt mir einen tiefen Einblick sowohl in die Zeit des Nationalsozialismus als auch in die Nachkriegszeit und das Thema Aufarbeitung. Konkret von den persönlichen Schicksalen der Opfer zu lesen, verändert den Blick auf die Verbrechen. Gleichzeitig bleibt mit dem Lesen der vielen Vernehmungen der Täter, die Vernichtungsmaschinerie nicht das abstrakte Böse, vielmehr bekommen die einzelnen Täter Gesichter. Doch keiner der Beschuldigten in diesem Verfahren wurde zur Rechenschaft gezogen.

Meine Aufgaben hier sind sehr unterschiedlich. Doch ich finde das sehr passend – mein Arbeitsalltag hier ist wirklich abwechslungsreich!

Neben meiner Arbeit gibt es natürlich noch ganz viel Neues in Israel zu entdecken. Auch wenn die Pandemie hier und da ein Hindernis bedeutet, habe ich mich schon gut im Land eingelebt. Ob es die ungewohnt hohen Temperaturen oder der robuste Fahrstil der Busfahrer sind, ich lerne jeden Tag mehr.

Ich möchte besonders auch der Stephanus-Stiftung für die finanzielle Unterstützung danken. Ganz vielen Dank oder toda raba, wie man hier sagt, und herzliche Grüße aus Israel!

Sonja Wittwer

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