Eine Mitarbeiterin für alle Fälle

Eine Betreuerin und ein Bewohner der Stephanus-Stiftung

Was genau macht eine Heilerziehungspflegerin? Und warum ist das so ein wunderbarer Beruf? Roland Engel hat für die Rundschau in einer Templiner Wohngemeinschaft hinter die Kulissen geschaut. Eine Geschichte über Verantwortung und Visionen.

„Guten Morgen mein Schnuckiputzi“ hallt es den Flur entlang. Michael steckt den Kopf durch die Tür und schaut uns entgegen. Noch ein wenig müde antwortet Steffi mit einem leichten Singsang in der Stimme: „Guten Morgen Micha. Hast du gut geschlafen?“ „Na klaro“, antwortet er und kommt dabei mit seinem Rollstuhl aus dem Zimmer gefahren.

Steffi Path ist 39 Jahre jung und absolviert zurzeit die Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin. Die gelernte Pflegeassistentin befindet sich im dritten Lehrjahr und arbeitet in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung im Gustav-Zietlow-Haus auf dem Waldhofgelände der Stephanus-Stiftung in Templin.  

In einer Wohngruppe leben neun Menschen im Alter zwischen 22 und 71 Jahren, Frauen und Männer, jeder hat sein eigenes Zimmer. Seit 2017 ist Steffi hier tätig und hat sich vor zwei Jahren entschieden, nochmal eine duale Ausbildung zu beginnen. Gründe für diesen Schritt gab es aus ihrer Sicht viele. Zum einen kann sie als Fachkraft noch besser auf die verschiedenen Krankheitsbilder eingehen, zum anderen erhält sie als ausgelernte Mitarbeiterin ein sehr gutes Gehalt im Vergleich zur Nichtfachkraft. „Ich bin froh, dass mir die Stephanus-Stiftung unkompliziert eine duale Ausbildung in dem Bereich ermöglicht hat“, sagt Steffi.
 

Zwischen Selbstständigkeit und Unterstützung

Heute deckt sie den Frühdienst in ihrer Gruppe ab. „Ich arbeite lieber im Spätdienst. Aber nach dem Frühdienst habe ich noch etwas mehr vom Tag“, sagt sie, während sie in der Küche das Frühstück für die Bewohner*innen vorbereitet. Steffi weiß mittlerweile ganz genau, wer was am liebsten zum Frühstück mag. In der offenen Küche mit Essbereich steht nun alles für das gemeinsame Frühstück bereit. Der Duft von frischem Kaffee zieht durch die Gänge und so langsam werden die Bewohner*innen wach. Aus den einzelnen Zimmern dringen zunehmend mehr Geräusche auf den Flur und einige Bewohner*innen sind schon auf dem Weg ins Bad.  

Die meisten in der Wohngruppe sind sehr selbstständig und schaffen es problemlos, sich selbst im Bad fertig zu machen und anzuziehen. Einigen anderen hilft Steffi. Christian zum Beispiel benötigt ihre Unterstützung bei der morgendlichen Routine: Sie wäscht ihn und zieht ihn an. Im Anschluss reicht sie ihm sein Frühstück und seine Medikamente.   

Aus dem Frühstücksraum sind inzwischen viele Stimmen und das Klimpern des Geschirrs zu hören: Die Bewohner*innen unterhalten sich angeregt, während sie frühstücken. „Lange Zeit war dies leider nicht der Fall, denn wegen der Corona-Pandemie musste jeder separat in seinem Zimmer essen, um Ansteckungen zu verhindern“, berichtet Steffi. „Ich bin froh, dass nun wieder normaler Alltag herrscht.“     

Die WGler und Steffi sind ein eingespieltes Team. Jeder weiß, was zu tun ist. „Die Vorbereitung ist das A und O für den reibungslosen und für die Bewohner stressfreien Ablauf am Morgen“, betont sie.  

Die meisten arbeiten in der Stephanus-Werkstatt auf dem Waldhofgelände. Pünktlich müssen sie für die Arbeit beziehungsweise den Fahrdienst startklar sein.  

Steffi fragt routinemäßig ab: „Jeder Zähne geputzt?“, „Brotdose und Trinken in die Rucksäcke gepackt?“ Zum Schluss kontrolliert Steffi nochmal, ob alle zum Wetter passend angezogen sind. „Das ist ein bisschen wie bei mir zu Hause, wenn meine Kinder pünktlich zur Schule müssen“, erzählt sie.  

Wer von der WG nicht zur Arbeit in die Werkstatt muss, darf sich nun verschiedenen Freizeitbeschäftigungen hingeben. Steffi räumt in dieser Zeit die Küche auf, damit am nächsten Morgen der Frühdienst alles aufgefüllt und sauber zum Start in den neuen Arbeitstag vorfindet.  
 

Individuelle Betreuung ohne großen Zeitdruck

Mittlerweile haben Stephanus-Mitarbeitende die saubere Wäsche aus der Wäscherei angeliefert. Diese verteilt Steffi in die einzelnen Fächer der Bewohner*innen im Flur. Danach füllt sie frische Handtücher sowie Hygieneartikel in den drei Badezimmern auf. Im Anschluss beantwortet Steffi im Dienstbüro bei einer Tasse Kaffee E-Mails und vereinbart notwendige Termine für die Bewohner*innen.  

Und was ist für die angehende Heilerziehungspflegerin das Besondere an diesem Job? „Ich arbeite so gerne hier, weil unter diesen Bedingungen eine individuelle Betreuung möglich ist, und zwar ohne diesen immensen Zeitdruck, der beispielsweise in einer reinen Pflegeeinrichtung den Ablauf bestimmt.“

Steffi freut sich an jedem Arbeitstag an den lebensfrohen Menschen, die in der Einrichtung zuhause sind. Es bereite ihr einfach große Freude, durch kleine Alltagshilfen so viel Bestätigung und Anerkennung zu bekommen.  

„Die Grundpflege der Bewohner*innen ist nur ein Teil meiner Tätigkeit. Wir machen auch viele andere Dinge, wie zum Beispiel Alltagsbegleitung, Freizeitbeschäftigung, Förderung und Entwicklung der Ressourcen oder die Planung von Urlauben oder Ausflügen“, schildert sie. Steffi hat den Eindruck, dass vielen Menschen dieses nicht bewusst ist.


 „Es ist mehr als Pflege. Es ist Betreuung in allen Lebenslagen.“

Gerade auch junge Menschen hätten ein gewisses Bild im Kopf oder haben unbegründete Ängste vor der Begegnung mit Menschen, die mit einer Beeinträchtigung ihren Alltag bewältigen.  

„Ich möchte die Menschen ermutigen, sich innerhalb eines Praktikums ein eigenes Bild von dieser schönen Arbeit zu machen“, sagt Steffi. Die Tätigkeitsfelder in der Heilerziehungspflege sind breit gestreut. Einige ihrer Kollegen*innen sind in Kita und Schulen als Kita-Schulbegleiter*in beschäftigt, andere in der Alltagsbegleitung über verschiedene Träger.   

Ursula Fink-Naffin, Lehrkraft am Oberstufenzentrum Uckermark II in Templin, bildet unter anderem selbst Heilerziehungspfleger*innen aus. „Das Besondere an dem Berufsfeld ist die Möglichkeit, nicht nur pflegerisch tätig zu werden, sondern kreativ, ressourcenorientiert und vielseitig pädagogische Förderangebote zu gestalten und die Klient*innen in ihrer Selbstständigkeit zu fördern und zu begleiten“, berichtet sie. Es ist eine Arbeit mit Verantwortung – mit und für Menschen. „Es gibt immer die Gelegenheiten, Visionen für dieses Arbeitsfeld zu entwickeln und direkt in der Praxis umzusetzen, gerade in der dualen Ausbildung!“

In einigen Bereichen gebe es natürlich auch noch Verbesserungspotential, wie zum Beispiel familienfreundliche Arbeitszeiten oder bei gewissen Arbeitsbedingungen. „Ich bin mir jedoch sicher, dass sich mit mehr Aufklärung hinsichtlich des Tätigkeitsfeldes viel mehr Menschen für diesen Beruf entscheiden würden!“  
 

Vorsorge verbunden mit Fürsorge

Nachdem Steffi noch ein paar Informationen in der digitalen Datenbank der Bewohner*innen eingetragen hat, macht sie in den Zimmern die Betten und lüftet überall kräftig durch.  

Vorsorglich reinigt und desinfiziert sie dann Handläufe und Türklinken sowie die Bäder.  

So langsam ist es Mittagszeit. Für die in der Einrichtung gebliebenen Bewohner*innen wird nun alles für das Mittagsessen vorbereitet. Steffi räumt den Geschirrspüler aus und verteilt das Frühstücksgeschirr in die Schränke. Und schon ist es soweit: Mitarbeitende der Waldhofküche bringen das frisch zubereitete Tagesmenü direkt von der Küche in Wärmebehältern bis in die Wohnbereiche.  

Nach der Temperaturkontrolle verteilt Steffi die Mahlzeit an die Bewohner*innen. Einige essen selbstständig, anderen reicht sie das Essen. Sichtlich gesättigt und mit Medikamenten versorgt, gehen die Bewohner*innen wieder ihren Freizeitbeschäftigungen nach: Sie brüten über einem Puzzle, hören Musik, sehen sich eine TV-Sendung an oder ziehen sich ganz individuell zu einem Mittagsschläfchen zurück. Steffi begleitet und hilft, wo sie kann. Die Stephanus-Mitarbeiterin hat immer ein offenes Ohr für die großen und kleinen Sorgen der Bewohner*innen. Möchte eine oder einer bei seinen Verwandten anrufen oder wird angerufen, assistiert sie. „Wir wollen den Kontakt zu den Angehörigen jederzeit ermöglichen“, berichtet sie.  

Es ist 14.00 Uhr, der Feierabend naht und Steffis Frühdienst ist gleich beendet. Sie sucht ihre Sachen zusammen, macht die Übergabe mit der Kollegin und verabschiedet sich. „Bis Morgen!“, ruft ihr Michael hinterher.  

Roland Engel  
Koordinator Stephanus vor Ort Templin

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