Assistierter Suizid

Teilnehmer sitzen in Gruppen an Tischen im Garten

Mit der Methode World-Café tauschten sich die Teilnehmenden über die verschiedenen Aspekte und Dimensionen des Themas aus. Ein Anfang für die weitere Auseinandersetzung ist gemacht.

Fachleute in der Stephanus-Stiftung setzen sich mit dem Recht auf Selbsttötung auseinander

Die Friedenskirche war gut besetzt, als Pastor Torsten Silberbach am 21. Juni 2021 den ersten Workshop zu einem Thema eröffnete, das die Teilnehmenden für einige Stunden nicht nur fachlich, sondern auch persönlich sehr bewegte.

Führungskräfte aus verschiedenen Bereichen der Stephanus-Stiftung kamen zusammen, um sich gemeinsam dem Thema des „Assistierten Suizids“ anzunähern. Roland Heller, Justiziar der Stiftung, erläuterte gut nachvollziehbar die rechtlichen Grundlagen, indem er den aktuellen Stand zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu § 217 StGB (Urteil 2 BvR 2347/15 u.a. vom 26.02.2020) darlegte und erläuterte.

Danach kommt jedem Menschen ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu, das sich aus dem Grundgesetz ergibt. Dieses schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierzu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Voraussetzung hierzu ist ein zur freien Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähiger Mensch und eine selbstbestimmte Entscheidung desselben.

Es legt keine Beschränkung auf bestimmte Krankheitszustände, -bilder oder -phasen fest; grundsätzlich ist diese Entscheidung des Einzelnen vom Staat und der Gesellschaft zu respektieren. Leben ist zwar vitale Basis der Menschenwürde, daraus folgt jedoch nicht, dass eine freie Selbsttötung der Menschenwürde widerspräche. Die Würde des Menschen ist danach nicht Grenze der Selbstbestimmung, sondern ihr Grund.

Dieses Grundrecht garantiert auch, Dritte in Anspruch nehmen zu können: Erst durch fachkundige Hilfe kompetenter und bereitwilliger Dritter sieht sich ein Suizident in der Lage, über eine Selbsttötung zu entscheiden und ggfs. seinen Suizidentschluss in einer für ihn zumutbaren Weise umzusetzen. Dabei gibt es ein Recht auf Suizid, aber keine Pflicht, daran mitzuwirken.

Betroffenen müssen alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte tatsächlich bekannt sein; sie müssen über sämtliche Informationen verfügen und so auf einer hinreichenden Beurteilungsgrundlage realitätsgerecht das Für und Wider abwägen können. Zugleich müssen auch die Handlungsalternativen zu einem Suizid erkennbar sein. Betroffene dürfen keinen unzulässigen Einflussnahmen oder Druck ausgesetzt sein und der Entschluss muss von gewisser Dauerhaftigkeit und innerer Festigkeit getragen sein.

Nachfolgend wurden im Rahmen eines World-Cafés verschiedene Perspektiven der Thematik diskutiert: Hilfe zum Recht auf Selbsttötung – ist dies Ausdruck eines diakonischen Selbstverständnisses? Betont wurde hierbei die gesellschaftliche Rolle der Diakonie, der Wunsch, nicht auf staatliche Regelungen zu warten, sondern sich selbst einzubringen. Dabei wurde die Bedeutung der Begleitung hervorgehoben; diese sollte substantieller Teil des diakonischen Handelns sein.

Welche Spannungsfelder ergeben sich in der beruflichen Praxis? Wir arbeiten für alte, kranke und beeinträchtigte Menschen, für Kinder und Jugendliche. Denkt man an wirksamen Schutz für all diese Menschen unter unserer Obhut – was sind Merkmale diakonischen Handelns? Der Wunsch kam auf, einen „Entscheidungskorridor“ zu entwickeln, ein gemeinsames Grund- und Selbstverständnis. Zugleich müssen Unterschiede wahrgenommen und, orientiert an den Bedürfnissen und Bedarfen der Zielgruppen (Senioren, Beeinträchtigte, Kinder und Jugendliche…), ausdifferenziert werden.

Es gab zum Ende Einigkeit über den Wert dieses offenen, transparenten Austauschs, der den Umgang mit dem Thema enttabuisiert; es war der Auftakt zu mehr. Deutlich wurde, dass wir hier über grundlegende Fragen diskutieren, die unsere berufliche Position berühren. Diese hat immer mit uns selbst zu tun und ist damit sehr persönlich. Die Teilnehmenden gingen anders aus dem Workshop, als sie hineingegangen waren: Optimistisch und nachdenklich zugleich, mit dem Gefühl, gemeinsam stark zu sein und die Kraft zu spüren für das, was vor uns liegt, sowie mit dem Wunsch, im Gespräch zu bleiben, unser Wissen weiter zu vertiefen und weiteren Praxisbezug herzustellen.

Claudia Tennikait-Handschuh
Leiterin Stephanus-Akademie

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