Peter Molle

Liebe Leserinnen und Leser,

ich wurde gebeten, ein paar Gedanken über meine berufliche Auszeit im Frühjahr und Sommer dieses Jahres aufzuschreiben.

Im letzten Jahr bin ich 50 Jahre alt geworden. Schon seit längerer Zeit hatte ich das Gefühl, mein innerer Akku wäre nur noch zu 75 % aufgefüllt. Mit 50 Jahren hat man schon so vieles erlebt: Aufbrüche und Trennungen, die Geburt der Kinder, ihr Großwerden und eigene Wege gehen, die Höhepunkte und die Stürme des Lebens und zugleich die Mühen der Ebene, viele berufliche Herausforderungen. Auch das Wahrnehmen, dass die Hälfte des Lebens definitiv überschritten ist.

Beim Ausfüllen eines Kurantrages spürte ich, dies ist es nicht…Und so habe ich dann acht Wochen unbezahlten und vier Wochen bezahlten Urlaub miteinander kombiniert und los ging die dreimonatige Auszeit ohne Arbeit.

Auch eine Auszeit will organisiert sein. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich für mich eine gute Mischung aus unterwegs und zu Hause sein gefunden habe. Fünf Wochen lang habe ich den französischen Jakobsweg erwandert: 800 Kilometer von St-Jean-Pied-de-Port am Rande der französischen Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela in Sichtweite des atlantischen Ozeans. Neben einer weiteren Reise nach Malta diente mir dann meine Wohnung als Basislager: Ausschlafen, frühstücken mit Brötchen vom Bäcker und dem Tagespiegel in der Hand, Besuche bei meinen Kindern und das Pflegen manch alter Freundschaften - zum 50. Geburtstag hatte ich mir statt Geschenken gemeinsame Unternehmungen gewünscht - das Schauen von Spielen der Fußballweltmeisterschaft an Fernsehern vor diversen Lokalen, der Besuch der Ausstellung über die Deutsche Geschichte im Deutschen Historischen Museum, mit Zeit und Muße um das neue Humboldt Forum im Berliner Stadtschloss laufen und das Relief über das alte Berlin in der Infobox bestaunen und….

Wenn ich nachträglich diese Zeit gedanklich Revue passieren lasse, erscheinen mir folgende Gedanken wichtig:

1. Es gibt ja von Dietrich Bonhoeffer den Satz: „Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche“. Und es stimmt, nicht alle Wünsche des Lebens müssen in Erfüllung gehen. Aber manchmal muss man sich auch einfach mal trauen und seinem Herzen, seiner Intuition folgen.

2. Der Jakobsweg lehrt einen, wie wenig man doch eigentlich zum Leben benötigt.

Im Pilgerhandbuch stand der Satz: „Den unerfahrenen Pilger erkennt man am zu großen Rucksack“. Ich erlebe viele Menschen, deren Rucksack zu voll ist.

3. Dankbar bin ich dafür, diesen Weg alleine gelaufen zu sein und dies auch gekonnt und ausgehalten zu haben. Manche Begegnungen auf dem Weg waren dann ein zusätzliches Geschenk.

4. Eine Redensart besagt: „Auf einem Bein kann man nicht stehen“ und besonders in Krisenzeiten ist es wichtig, auf mehreren Beinen zu stehen. So eine Auszeit kann einem neu die Balance zwischen Familie, Partnerschaft, Kindern, Arbeit, Hobbys, dem Engagement für andere, Zeiten nur für sich etc. aufzeigen.

5. Am Schluss meiner Auszeit taten mir morgens beim Aufstehen die Knochen vorsichtig weh. Dies hatte ich früher so nie wahrgenommen. Anscheinend scheint auch der Spruch: „Wer rastet, der rostet“ zu stimmen, und man bleibt auch nach einer Auszeit so alt, wie man tatsächlich ist.

6. Es ist gut, ab und an ein Stück Abstand zu seiner Arbeit zu finden. Für die Zukunft habe ich mir vorgenommen, jedes Jahr in einer Firma außerhalb der Sozialwirtschaft für ein paar Tage zu hospitieren. Was heißt Leiten und Führen, Projektmanagement oder Mitarbeitergewinnung und Begleitung bei Immobilienscout 24, Siemens oder Zalando?

Dankbar bin ich meinen Leitungskolleginnen, die mich in dieser Zeit hier im Elisabeth Diakoniewerk vertreten haben. Das Haus und die Arbeit liefen „geräuschlos“ weiter. Das hat mich erfreut - so soll es sein - und zugleich auch ein wenig ernüchtert.

Auch eine gute Lehre so einer Auszeit.

Peter Molle
Einrichtungsleiter im Elisabeth Diakoniewerk
in Berlin-Niederschönhausen

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