Zweifel und Meinungsverschiedenheit

Die Jahreslosung 2022

Die Jahreslosung 2022

Die Jahreslosung 2022

Unseren Dienst in der Stephanus-Stiftung begleitet auch in diesem Jahr wieder ein biblischer Text, der diesmal aus dem Johannesevangelium stammt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Joh 6,37)

Rieke C. Harmsen ist Chefredakteurin der Sonntagszeitung und schrieb einen Beitrag über die Bedeutung und Hintergründe dieser Bibelstelle:
Die Jahreslosung ist für die meisten Christinnen und Christen ein Leitvers für das Jahr. Der Text begleitet sie, regt zum Nachdenken an und soll auch dazu motivieren, sich mit der biblischen Geschichte zu beschäftigen.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Diese Zeilen stehen im Johannesevangelium des Neuen Testaments. Dieses Buch unterscheidet sich von den anderen Evangelien. Als Verfasser gilt der Apostel Johannes, der häufig als Lieblingsjünger von Jesus bezeichnet wird. Das Johannesevangelium thematisiert vor allem die Einheit Jesu mit Gott, seinem Vater.

Der Text der Jahreslosung wurde etwas gekürzt - der gesamte Text aus dem Johannesevangelium liest sich wie folgt: „In jener Zeit sprach Jesus zu der Menge: Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen; denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat. Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Jüngsten Tag. Denn das ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, das ewige Leben hat und dass ich ihn auferwecke am Jüngsten Tag.“

Nicht die Zeichen sind wichtig, sondern das Vertrauen auf und an den Glauben.

Der Text der biblischen Geschichte schildert einen besonderen Moment des Umbruchs. Vorausgegangen sind andere Ereignisse: Am Tag zuvor sitzt Jesus mit seinen Jüngern auf einem einsamen Berg, als fast 5.000 Männer kommen, um ihn zu sprechen. Und dann geschieht ein Wunder: Jesus schafft es, mit fünf Broten und zwei Fischen, die er von einem Knaben gereicht bekommt, die Menschenmenge zu sättigen.
Am Abend steigen die Jünger vom Berg hinab und besteigen ein Schiff. Als sie sich mitten auf dem See befinden, sehen sie Jesus auf dem See gehen und sich dem Schiff nähern. Sie fürchten sich zunächst, doch nehmen sie Jesus in ihr Boot auf und erreichen sicher das andere Ufer.

Einen Tag später wollen die Menschen, die die "Speisung der Fünftausend" erlebt haben, mit Jesus sprechen - doch sind weder er noch seine Jünger noch zu finden, woraufhin sie ebenfalls mit ihren Schiffen ans andere Ufer des Sees fahren. Sie entdecken Jesus und bestürmen ihn mit Fragen. Jesus weicht ihnen nicht aus, sondern beantwortet sie mit der schlichten und provozierenden Antwort, sie müssten ihm nur vertrauen. Die Menschenmenge reagiert verstört, die Meinungen gehen auseinander, an den Aussagen scheiden sich die Geister.

Dieser Zweifel, diese Meinungsverschiedenheit bildet auch das Zentrum der Jahreslosung. Es geht um unseren Umgang mit dem Glauben. Die Botschaft der biblischen Geschichte lautet: Nicht die Zeichen sind wichtig, sondern das Vertrauen auf und an den Glauben.

Die Jahreslosungen werden von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) ausgewählt. Ins Leben gerufen wurde die Tradition der Losungen von dem Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller (1889-1939), der zur Bekennenden Kirche gehörte. Als Direktor des Reichsverbands der evangelischen Jugend wollte er den NS-Parolen einen Bibelvers entgegenstellen und begann 1934 mit einer Jahreslosung.

Heute werden die Vorschläge bei einer Mitgliederversammlung diskutiert. Jede Gruppe einigt sich auf zwei Vorschläge, die im Plenum zur Abstimmung gestellt werden. Der Vers mit der absoluten Mehrheit wird dann zur Jahreslosung gewählt. Zur Arbeitsgemeinschaft gehören 20 evangelische und katholische Mitgliedsverbände aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich.

Rieke C. Harmsen
Chefredakteurin der Sonntagszeitung

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