„Helfet einander!“ Zum 100. Todestag von Pfarrer Ernst Gottlieb Georg Berendt

Fotoquelle: Archiv Stephanus

Zwei Brüder: Ernst Berendt (links) mit seinem Bruder Gottlieb Michael Berendt. Dieser war Geologe und Professor an der Bergakademie Berlin. Berühmt wurde er durch seine Forschungen zur Flachlandsgeologie. Die von ihm entwickelten Methoden zur kartografischen Erfassung sind bis heute gültig.

An seinem 100. Todestag erinnert sich die Stephanus-Stiftung an Pfarrer Ernst Gottlieb Georg Berendt. Er gründete im Jahre 1878 die „Bethabara-Stiftung“ in Berlin-Weißensee, die heute Stephanus-Stiftung heißt.

Am 26. Januar 1919 verstarb Ernst Gottlieb Georg Berendt in Berlin im Alter von 76 Jahren. Nachfolgender Beitrag zeichnet das Leben eines unermüdlichen Mannes nach, der sich einfach nicht mit der Not anderer Menschen abfinden wollte.

Geboren am 19. Mai 1842 in Berlin wächst Ernst Berendt mit mehreren Geschwistern in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf. Sein Vater Michael Ernst Berendt (1803-1853) konvertiert im Jahr 1828 vom jüdischen zum evangelischen Glauben und ebnet damit seinem Sohn das spätere Theologiestudium an der Friedrich-Wilhelm-Universität (heute Humboldt-Universität).

Seinen ersten Dienst tritt er als Hilfsgeistlicher an der Strafanstalt in Sonnenburg (nahe Küstrin) an. Im Juli 1871 heiratet Ernst Berendt die ein Jahr jüngere Arzttochter Anna Emma Kranichfeld. Gemeinsam bekommen sie sieben Kinder. Seine vier Töchter und drei Söhne widmen ihr Leben zu großen Teilen der Arbeit in der später von ihm gegründeten Stiftung und tragen zu ihrem Aufbau bei.

Nach einer weiteren Station an der Strafanstalt in Naugard (Hinterpommern, heute Polen) wird Ernst Berendt im April 1877 als Anstaltsgeistlicher an das Stadtvogtei-Frauengefängnis (Berlin-Friedrichshain) berufen. Die Arbeit dort ist für ihn ein Wendepunkt für seine weitere berufliche Entwicklung. Tief berührt von den Schicksalen der straffälligen Mädchen und Frauen entschließt er sich, deren Lebenssituation nach ihrer Entlassung, zu verbessern.

Deshalb initiiert er zunächst einen Kreis von Frauen, die die Mädchen im Gefängnis besuchen, sie betreuen und beraten. Ab 1877 richtet Ernst Berendt „Pflegestellen“ ein, bei denen die „Christliche deutsche Familie“ den Entlassenen als Vorbild und Hilfe zur Umkehr dienen soll.

Um den sich abzeichnenden Aufgaben eine solide Grundlage zu geben, gründete Ernst Berendt 1878 die „Bethabara-Stiftung“ (heute Stephanus-Stiftung) .Anfang 1879 mietet er ein Grundstück und ein kleines Häuschen in Weißensee bei Berlin und nennt es „Bethabara“ (hebräisch: Haus an der Furt). Hier nimmt er obdachlose Frauen und Mädchen auf, die aus dem Gefängnis entlassen wurden.

Um die Stiftungsarbeit finanzieren und ausbauen zu können, verfasst Pfarrer Berendt Zeitungsartikel über die Not der Mädchen und Frauen. Darin berichtet er über die Einrichtung und wichtige Ereignisse. Seine Ziele publiziert er in Anzeigenblättern und bei öffentlichen Vorträgen in Fachkreisen des Gefängniswesens sowie bei Hilfsvereinen. Dabei ruft er zu Spenden auf und sucht mittels Annoncen nach geeignetem Personal. Von ihm überliefert ist seine Aufforderung: „Helfet einander!“, mit Hinweis auf die Bibelstelle Jakobus 5, V 19+20.

Im Jahr 1881 erwirbt Berendt einige Nachbargrundstücke in Weißensee und lässt weitere Gebäude errichten. Die Hilfsangebote richten sich jetzt an alle bedürftigen Frauen in Notlagen, unter anderem auch an unverheiratete Mädchen, die ein Kind erwarten. Ab 1897 können die Mädchen und Frauen ihre Kinder im „Haus Beth-Elim“ zur Welt bringen.

Als Erweiterung kommt ein Krankenhaus für Frauen mit Geschlechtserkrankungen hinzu. Eine der ersten weiblichen Ärztinnen in Deutschland, Dr. med. Agnes Hacker, leitet dieses Krankenhaus. Im Oktober 1909 wird das sogenannte „Grüne Haus” in Betrieb genommen. Die Mädchen und Frauen erhalten hier Allgemeinbildung und eine hauswirtschaftliche Ausbildung. Trotz großen Widerstandes der wohlhabenden Bürger Neu-Weißensees und speziell des Bürgermeisters, errichtet Pfarrer Berendt 1912 eine Station für Schwererziehbare.

Die entbehrungsreichen, schwierigen Jahre des ersten Weltkrieges, die Aufrechterhaltung der Rettungsarbeit, die Unterstützung der Ärmsten durch Armenspeisung sowie letztendlich die Besetzung der Stiftung am 9. November 1918 durch den sogenannten Soldatenrat zehren an den Kräften des nun über 70-jährigen Ernst Berendt. Im Jahr 1919 verstirbt er im Alter von 76 Jahren. Sein mittlerer Sohn Ernst Berendt jun. übernimmt als Nachfolger die Stiftungsleitung.

Sein ganzes Leben setzt sich Ernst Berendt für benachteiligte Mädchen und Frauen ein. Mit seiner Arbeit entwickelte er als Erster in Preußen ein komplexes, abgestuftes Hilfsangebot für diese Zielgruppe. Dazu zählen u. a. ein Besuchsdienst für die inhaftierten Frauen und deren Angehörige sowie deren Beratung, (Arbeits-) Vermittlung, übergangsweise Unterbringung, Fortbildung und Hilfe bei der Resozialisierung. In Würdigung seiner Verdienste wird Ernst Berendt am 19. Januar 1908 beim Krönungs-und Ordensfest seiner Majestät des Kaisers und Königs der „Rote Adlerorden“ vierter Klasse verliehen. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Friedhof St. Georgen in Berlin-Weißensee.

Elena Lorenz und Uwe Gerson
Unternehmenskommunikation

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