kürzlich fiel mein Blick auf ein Schild, das vor dem neuen „Café 8“ auf dem Gelände der Stephanus Stiftung aufgestellt war. Darauf stand „Schwäbische Flädlessuppe“. Ich hatte noch ein wenig Zeit bis zu meinem Gespräch mit dem Vorstand, also machte ich einen Abstecher in das neue Café. „Schwäbische Flädlessuppe“ in der ur-berlinisch-brandenburgischen Diakonie der Stephanus-Stiftung? Das machte mich neugierig. Das Urteil des gebürtigen Stuttgarters: Der Sternekoch Vincent Klink aus dem Schwabenland hätte es nicht besser gemacht.
Warum fällt mir das auf? Wir sind doch in einer Stadt wie Berlin mittlerweile eine gesamtdeutsche Einrichtung geworden, zu der Mitarbeitende und Bewohnerinnen, Gäste, Klienten aus der Region genauso gehören wie aus anderen Landstrichen der Republik, ja sogar Menschen mit Fluchterfahrungen. Selbst der Vorsitzende des Kuratoriums ist aus Süddeutschland. Muss man da noch über Unterschiede reflektieren?
Die Stephanus-Stiftung ist eine diakonische Einrichtung, in der auf den menschlichen Umgangsstil Wert gelegt wird. Dennoch ist sie Teil der Gesellschaft und gesellschaftliche Diskussionen und Einstellungen finden natürlich auch ihren Widerhall in unserem Werk. 30 Jahre nach dem Mauerfall von 1989 kommen auch in den Gesprächen der Mitarbeiterschaft Themen vor, die das Erleben der letzten Jahrzehnte wiedergeben. Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen sind viele in den Herbst 1989 gegangen, haben dafür mutig auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt? Was sollte auch bewahrt und weiterentwickelt werden? Es gab doch noch mehr als Rotkäppchen, Radeberger und Grünen Pfeil, das einzubringen war in das neue Ganze! Eine große Bereitschaft zur Veränderung war vorhanden. Es wurde viel Neues gelernt. Dabei wurden aber auch Demütigungen eingesteckt. Das alles klingt nach. Daher ist es gut, dass die Gespräche jetzt aufbrechen. Wir müssen sie nur führen.
Ich erinnere mich an die frühen 90er Jahre, als ich noch Vorstandsvorsitzender der Diakonie Stetten bei Stuttgart war. Nachdem wir die erste Sparphase seit vielen Jahren in unserer Einrichtung einläuten mussten, wurde mir aus der Mitarbeiterschaft entgegengehalten: „Was können wir dafür, dass die Wiedervereinigung Geld kostet? Wir haben sie nicht gewollt.“ Heute geht es dem Süden Deutschlands glänzend. Brandenburg, Vorpommern, Thüringen, Sachsen und Anhalt haben enorm aufgeholt, obwohl sie damit leben mussten, dass an vielen Stellen zuerst einmal Tabula rasa gemacht wurde. Immer wieder sucht sich das Gefühl Ausdruck, mit all dem, was in den letzten Jahrzehnten geleistet wurde, nicht wert geschätzt zu werden. Die ungeheuren Veränderungen durch die Herausforderungen der Jahre seit dem 3. Oktober 1990 können sich viele Menschen in der alten Bundesrepublik, bei denen es meistens kontinuierlich in gewohnten Bahnen weiterging, gar nicht vorstellen.
Ich möchte, dass wir darüber reden. Wir können gerade dadurch zeigen, dass in der Stephanus Stiftung eine Kultur der Wertschätzung lebt, die Ausdruck unseres diakonischen Grundverständnisses ist. Wir können und wollen die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Wir können uns aber sagen, wo wir uns verletzt fühlen. Das ist nicht immer leicht auszuhalten. Jedoch nur dadurch lernen wir, das, was uns verbindet, noch besser zu gestalten. Und damit bewegen wir uns in diesem besonderen Jahr genau auf den Spuren der Jahreslosung, die in der Stephanus-Stiftung an so vielen Orten unübersehbar auffällt: „Suche Frieden und jage ihm nach“, Psalm 34,15
Und schließlich wird dann die „Schwäbische Flädlessuppe“ genauso selbstverständlich wie Berliner gebratene Leber.
Herzlich grüße ich Sie
Ihr
Pfarrer Klaus-Dieter Kottnik
Vorsitzender des Kuratoriums
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