„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“

ein älterer Mann

Pfarrer i. R. Klaus Köller

Klaus Köller war in der Zeit des Mauerbaus Pfarrer in der Kirchengemeinde in Zehdenick. Heute lebt er im Ernst-Berendt-Haus in Berlin-Weißensee und hält regelmäßig Andachten in der Friedenskirche. Am Jahrestag des Mauerbaus am 13. August erinnert er sich:

Am 13. August 1961 hatte ich einen Gottesdienst in der Zehdenicker Kirche zu halten. Vor der Kirche stand der Bürgermeister Giermann. Ich war sehr überrascht, denn er war vorher nie in der Kirche gewesen. Er fragte: „Wissen Sie schon das Neuste? Sie bauen die Mauer.“ Ich sagte: „Ja, davon habe ich gehört.“ „Meine Frage ist“, sagte er, „werden Sie in Ihrer Predigt oder sonst im Gottesdienst darauf Bezug nehmen.“ Ich sage: „Nein, das werde ich nicht tun. Ich bin beauftragt, Gottes Wort zu sagen. Das ist mein Auftrag, den werde ich ausführen.“ Ich hatte die Predigt vor dem Mauerbau vorbereitet und wollte sie genauso halten, wie ich sie mir vorgenommen habe, ohne Bezug auf die Mauer zu nehmen.  

Damit zufrieden zog er wieder los. Die ersten Reaktionen der Gemeindemitglieder waren sehr betrübt. Sie waren sehr erschrocken über den Mauerbau. Damit gerechnet hatte wohl keiner, auch wegen der Ansprache vom dem damaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, der auch gefragt worden war und darauf geantwortet hatte: „Kommt nicht in Frage. Wir werden die Baukapazitäten nicht für einen Mauerbau verwenden.“ Da hatte er bewusst gelogen.

Wenige Zeit später hatten wir den Paulinumschor bei uns zu Gast. Sie präsentierten das Programm „Lieder der Weltchristenheit“. Davor wurde die Losung des Tages verlesen und ein paar Worte gesagt. Und da war zufällig – wie das manchmal so ist – das Losungswort „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (2.Samuel 22,30).  

Dies wurde sofort, und daran merkten wir, dass wir ständig beobachtet wurden, ans Kreisamt gemeldet. Uns wurde befohlen, dazu Stellung zu nehmen. Es war nicht ganz einfach, den Leuten dort beizubringen, dass das ein Bibelvers in einem ganz anderen Zusammenhang ist. Doch sie haben es nicht ganz geschnallt. Sie meinten, in Zehdenick wird zum Sturm der Mauer aufgerufen.  

Wenig später, nachdem die Mauer gebaut worden war, starb mein Schwiegervater in Wolfsburg in der Bundesrepublik. Unsere Angehörigen dort rechneten damit, dass meine Frau wenigstens die Genehmigung zur Beerdigung bekam. Doch das wurde verweigert. Wir haben uns mit einer Eingabe bei den zuständigen Behörden beschwert, aber das hat nichts geholfen. Der Staat blieb hart. Meine Frau durfte nicht fahren und dass hat ihr so zugesetzt, dass sie in ein tiefes Loch gefallen ist.  

Als die Mauer später fiel, war ich erleichtert.

Pfarrer i.R. Klaus Köller

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