Die mediale Präsenz von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) ist zurzeit vermutlich größer als je zuvor. Leider zeichnet der aktuelle Duktus der Berichterstattung vor allem ein düsteres Bild solcher Einrichtungen, betitelt sie mit Schlagworten wie „Sklavenarbeit“ oder als Verhinderungsgrund von inklusiven Prozessen.
Es ist mittlerweile 14 Jahre her, seitdem Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat. Im März 2021 wurden die Inhalte der Konvention durch weitere „Strategien für die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Europäischen Kommission gestärkt. Inhaltliche Schwerpunkte bilden hier vor allem Aspekte, wie das Recht darauf, seinen Lebensunterhalt durch eine entsprechende Beschäftigung absichern zu können, Chancengleichheit und gerechte Arbeitsbedingungen zu realisieren oder ein gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit zu erhalten. An diesen rechtlichen Vorgaben knüpfen die derzeitigen KritikerInnen gegen die Werkstätten an. Infolgedessen, und auch unter Berücksichtigung der digitalen Möglichkeiten, entwickelt sich ein medienwirksames Aufbegehren gegen die Werkstätten.
Ergänzt wird diese Debatte durch ein verändertes Verständnis von Behinderung, das zeigt, dass sich unsere Gesellschaft – langsam, aber stetig – im Wandel befindet und Menschen mit Behinderung sich zunehmend selbst, aber auch von außen, als gleichberechtigte BürgerInnen wahrnehmen und ihnen ein Platz in unserer gesellschaftlichen Mitte zusteht.
Ganz grundsätzlich ist eine kritische und reflektierende Auseinandersetzung mit dem System, in dem wir uns selbst befinden, für das wir arbeiten, immer sinnvoll. Vor allem dann, wenn wir Inklusion tatsächlich als ein gesellschaftlich anzustrebendes Ziel begreifen. Auch wenn uns die aktuelle Kritik vielleicht betroffen macht, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass Kritik natürlich auch an wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen geübt werden kann und darf. Weitaus wichtiger ist aber die Beschaffenheit der Kritik – ist sie konstruktiv vermittelt, fundiert? Und wie können wir diese Kritik für uns nutzbar machen, welche Anknüpfungspunkte bildet sie für bisher verborgenes Verbesserungspotenzial?
Aber werfen wir doch ganz konkret einen Blick auf ein paar der größten Kritikpunkte:
- Eine Werkstatt für behinderte Menschen bildet den Gegensatz zur Inklusion.
- Die Arbeit in einer WfbM erinnert an „Sklavenarbeit“ – u.a., weil Beschäftigte keinen Mindestlohn erhalten.
- Die Vermittlungsquote von 1% auf den ersten Arbeitsmarkt bleibt seit Jahren unverändert.
- Die gesetzlich vorgeschriebene Wirtschaftlichkeit steht im Widerspruch zum Rehabilitationsauftrag.
- Werkstätten verhindern das Empowern der Beschäftigten, z.B. beim Wunsch, die Werkstatt zu verlassen.
Wie sollten wir damit umgehen, wenn wir in unserem Freundes- und Bekanntenkreis oder im Austausch mit anderen Professionellen mit diesen Kritikpunkten konfrontiert werden, vielleicht auch in der Form, dass die Kritik nicht konstruktiv und eher floskelartig an uns herangetragen wird? Zuallererst heißt es: gelassen bleiben und versuchen, mögliche Verallgemeinerungen aufzulösen. Es gibt nicht „die“ Werkstätten, die allen Kritikpunkten entsprechen. Genauso wenig wie es „die“ eine Inklusion oder „die“ Definition von Glück oder Erfolg gibt. Versuchen wir, in auftretenden Diskussionen mit dem Gegenüber beim Thema zu bleiben und fragen nach persönlichen Erfahrungen mit Werkstätten, in denen Menschen mit Behinderung tätig sind. Das System der Werkstätten ist sehr komplex und für Außenstehende nur schwer zu durchdringen. Es scheint nicht abwegig, dass aus dieser Perspektive heraus schnell Angriffsflächen entstehen können. Bauen wir lieber Brücken, als Fronten verhärten zu lassen und behalten wir auch unseren Humor. Und im Notfall – können wir jederzeit ein Gespräch auch höflich beenden.
Die Kritik wird uns sicher weiterhin begleiten. Genauso, wie sich unsere Einrichtungen weiterentwickeln und nach neuen Projekten, Konzepten und Wegen Ausschau halten, die die Rechte von Menschen mit Behinderung stärker verwirklichen können. Kritik und Entwicklung sollten sich also irgendwo auf der Mitte begegnen – lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg bestreiten.
Svenja Hartmann
Referentin Geschäftsbereich Werkstätten