Verantwortlich ist, wer Antworten auf Fragen geben kann

Das Ethik-Komitee in der Stephanus-Stiftung

 

Vor zwei Jahren berief der Vorstand für eine begrenzte Zeit sieben Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen der Stephanus-Stiftung in ein „Ethik-Komitee“. Über die Aufgaben und Ziele des Komitees schrieb Mitglied Maja Herbst nachfolgenden Beitrag.

Corona lässt uns gemeinsam seit über zwei Jahren nicht mehr in gewohnten Abläufen arbeiten. In dieser bewegten Zeit kam das neu einberufene Ethik-Komitee zusammen. Gleich zu Beginn sahen wir uns mit einem der brisantesten Lebensthemen überhaupt konfrontiert: dem assistierten Suizid. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 tut sich da ein riesiges Spannungsfeld auf. Wir loten jetzt aus, welche Probleme und Herausforderungen damit einhergehen, damit niemand einen ungewollten oder unverschuldeten Schaden erfährt. Wir beschäftigen uns mit Fragen, wie dieses Thema mit dem christlichen Menschenbild vereinbar ist, welches sich deutlich für das Leben ausspricht. Ein hochkomplexes, äußerst sensibles Thema und so groß, dass der neue Weg achtsam Schritt für Schritt gegangen werden sollte.

Eine andere Fragestellung, die uns beschäftigt, betrifft die Vergangenheit: Wir wissen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen seit 1945 bis zur Wende, in Ost- und Westdeutschland unter groben, menschenverachtenden Praktiken leiden mussten. Sie wurden teilweise seelisch und körperlich misshandelt. Wie gehen wir nun heute mit Erinnerungskultur und Wiedergutmachung mit Blick auf unser Klientel um? Wer spricht für die, die nicht für sich selber sprechen können? Es geht dabei nicht um Anklage, sondern um Benennen dürfen. Da wir uns als Gesellschaft weiterentwickelt haben und nicht persönlich beteiligt waren, sollte eine Auseinandersetzung mit diesen Themen möglich sein.

 

Wie ein Aufatmen der Seele

Die Bundesrepublik hat zwischen 2012 und 2018 zwei Fonds für Heimkinder eingerichtet, um Betroffenen materielle und therapeutische Hilfen anzubieten. Damit ist entstandenes Leid anerkannt und soll ein Stück weit wieder gut gemacht werden. Viele unserer Klient*innen wurden bedacht und die Geschichten/Erinnerungen, die damit verknüpft sind, wurden wieder lebendig, sind sie doch durch tiefe Traumatisierungen fest abgespeichert. Ich selbst habe erfahren und beobachten können, welche Kraft freigesetzt wird, wenn erfahrenes Unrecht oder Leid anerkannt wird. Wieviel Lebendigkeit entsteht, wenn Betroffenen zugestanden wird, dass das, was ihnen widerfahren ist* nicht in Ordnung war und ihnen niemals hätte widerfahren dürfen. Es ist wie ein Aufatmen der Seele.  

(*Gewalt, Demütigung, Ausgrenzung etc.).

Das waren zwei konkrete Beispiele von Fragestellungen, mit denen wir uns beschäftigen. Doch was ist Ethik überhaupt? In Vorbereitung auf diesen Text habe ich verschiedene Personen befragt, was sie damit verbinden. Mein 85-jähriger Onkel meinte, es wäre etwas Gutes, meine Tante verbindet mit Ethik eher Begriffe wie Ruhe, Glück, Güte und Barmherzigkeit. Für eine Kollegin bedeutet Ethik Gerechtigkeit, Gewissen und Mitgefühl. Eine Freundin meinte, Ethik diene vor allem der kritischen Reflexion und der Überprüfung der eigenen Maßstäbe. Alle Befragten hatten zunächst ein vages, aber immer positives Gefühl. Und das gilt es zu gestalten.

Übrigens, der Philosoph Aristoteles sieht in der Ethik „Bedingungen eines freundlichen Miteinanders“.  

Ich denke, Ethik ist Teil der sozialen Entscheidung und kann Teil unserer Richtlinien in der Stephanus-Stiftung sein. So können uns ethische Richtlinien unterstützen, aufmerksamer und einfühlsamer gegenüber den Bedürfnissen unserer Mitmenschen zu sein und somit Abwägungsprozesse erleichtern.  

Der Theorie von Aristoteles folgend, bewegt sich das Ethik-Komitee jenseits von Gut oder Schlecht. Es zielt auf verantwortliches Handeln ab. Verantwortlich ist, wer Antworten auf Fragen geben kann. Wer ein „weil“ formuliert, übernimmt Verantwortung.

Damit das Komitee aktiv wird, braucht es einen Auftrag, genauer gesagt, einen Wertekonflikt. Ethik will zu eigener Meinungs- und Urteilsbildung befähigen und ist hilfreich, wo es gegensätzliche Positionen gibt

Beenden möchte ich diesen Beitrag mit einem Zitat aus einem Lied, dass mich berührte:  
„Steht auf deiner Liste oben die Liebe
Lass da als zweites stehen: ‚Steh auf‘
Und drittens: ein Jeder ist verantwortlich
Auch die, die gar nichts glauben“

Quelle: Erdmöbel - Hoffnungsmaschine

Für das Ethik-Komitee:
Maja Herbst

Derzeit sind sechs Personen aus verschiedenen Bereichen im Ethik-Komitee der Stephanus-Stiftung aktiv. Sie bringen unterschiedliche Erfahrungen mit ein, um den verschiedenen Herausforderungen begegnen zu können. Im Einzelnen sind das Rita Koschnitzke, die in Templin integrative Kinder- und Jugendwohngruppen begleitet, Diakon André Krell vom Hospizdienst in Weißensee, Jörg Beckmann, der im Seniorenzentrum “Haus zur Brücke“ in Berlin-Köpenick tätig ist, Peter Abraham ist Werkstattleiter der Stephanus-Werkstätten Ostprignitz-Ruppin, Jurist Roland Heller verantwortet die Themen Recht und Compliance und ich, Maja Herbst, aus dem Betreuten Einzelwohnen der Ambulanten Betreuung Berlin und ausgebildete Ethikberaterin. Frohmut Fricke aus der Laurentiusschule in Bad Freienwalde wirkte bis Mai 2022 mit.

Zurück

Diesen Artikel ausdrucken