Immer wieder passiert es - irgendetwas läuft schief, wurde vergessen, nicht gemacht, übersehen. Jedenfalls hat es Folgen. Ein Fehler ist passiert. Es könnte zum Beispiel sein, dass Meldungen von Klient*innen, Schüler*innen oder Bewohner*innen nicht korrekt erfolgt sind. Die Folge ist, dass weniger Geld an Stephanus ausgezahlt wird. Oder es könnte sein, dass ein Vertrag lange liegenbleibt und plötzlich ist die Bewerberin, die wir eigentlich einstellen wollten, verschwunden. Oder es könnte zum Beispiel sein, dass ich etwas dokumentieren muss, es aber nicht packe, weil das Programm dauernd abstürzt, ich sowieso keine Lust habe und auch nicht weiß, was ich schreiben soll. Nachher gibt es aber Ärger damit. Es kann sein, dass ein Schreiben nicht weitergegeben wird, weil ich nicht weiß, was damit passieren soll. Es kann ein wichtiger Brief sein. Die Stiftung muss dafür einstehen. Oder - oder - oder.
Nun ist die große Frage: Was passiert dann? Obwohl wir alle Fehler machen und Fehler völlig normal sind, werden sie noch immer als Zeichen von Schwäche und mangelnder Fähigkeit gesehen. Daher ist die Methode: „Unter dem Teppich ist noch viel Platz“ weit verbreitet. Der Fehler wird nicht benannt, er wird unter den Teppich gekehrt. Es wird nicht nach einer Lösung gesucht oder es wird nach einer sehr oberflächlichen Lösung gesucht. Manchmal gibt es auch das Missverständnis, dass das die diakonische Kultur ist.
In Extremfällen in der Vergangenheit soll es vorgekommen sein, dass Kolleg*innen tatsächlich Angst vor ihren Vorgesetzten haben mussten. Die brüllten herum und fabulierten etwas von: „die Einrichtung wird geschlossen, wenn ihr nicht…“. In solchen Fällen war das Wegducken genau die richtige Reaktion. Selbstschutz.
Ich glaube, dass solches Verhalten der Vergangenheit angehört. Sollte das nicht so sein, ist schon wieder ein Fehler passiert: Darüber nicht offen zu sprechen und eine andere Fehlerkultur einzufordern, tut uns nicht gut.
Denn mein eigener Frust, meine Angst vor Fehlern schwächt mich selbst, mein Team, das ganze Haus und die Stephanus-Stiftung. Ich wage mich nicht mehr mit einer neuen Idee heraus, ich treibe die Veränderung nicht voran. Das Arbeitsklima ist in der negativen Fehlerkultur geprägt von Vertuschung und Stress. Die Leistungsfähigkeit aller sinkt, weil wir unser volles Potenzial nicht entfalten können. Wenn ich aus Furcht vor Bestrafung und böser oder blöder Kritik keine Fehler zugebe, bin ich eingeschränkt in meinen Leistungen, die Klient*innen spüren das sofort und so ist unsere Arbeit nicht gut, die Belegung sinkt - ein Teufelskreis beginnt.
Und nun kommt es: Etwas Besseres als Fehler kann uns nicht passieren. Denn nur so haben wir die Chance, uns zu verbessern! Eine offene Fehlerkultur gehört zu den Grundvoraussetzungen für eine gute Arbeit mit unseren Menschen und für ein gutes Arbeitsklima. Wer keine Angst hat, Fehler zu machen, ist motiviert. Fehler passieren, na klar! Und das ist gut so, wenn: Wir offen damit umgehen.
Kritik und Feedback konstruktiv sagen und annehmen zu können, ist eine wichtige soziale Komponente für gute Teamarbeit.
Natürlich müssen sich alle Führungskräfte zuerst an die eigene Nase fassen. Aber alle im Team können das lernen: Ich gebe Fehler zu, suche mir Hilfe und ich weiß, ich bin nicht allein mit meinem Problem.
Ein offener Umgang mit Fehlern gehört - für alle, die schon einmal etwas von ISO 9001 gehört haben - zum Qualitätsmanagement. Wenn wir Routinen haben im Umgang mit Fehlern, dann hat das viele positive Effekte: Wir können Fehlerquellen besser identifizieren, die Ursachen gründlich analysieren und das Problem bei der Wurzel packen. Am Ende können wir vorbeugen, dass dieser Fehler genauso wieder passiert. Bei uns in Stephanus geht es oft um Kommunikation und um Prozesse. Klar doch, wir arbeiten mit Menschen für Menschen. Da entstehen Missverständnisse und Gerüchte sehr schnell. Je klarer aber der Ablauf ist und wir uns an diesen halten, je sicherer wir sind, umso weniger eiern wir herum.
Wer Fehler eingesteht, aufzeigt und offen kommuniziert, steht am Ende besser da.
Ein Beispiel aus dem Vorstand: In der Vergangenheit war es manchmal üblich, auf die wirtschaftlichen Ergebnisse in einem bestimmten Geschäftsbereich nur mit dem Helikopter zu schauen: Ganz unten stimmt das Ergebnis. Ob unter der Summe auch Häuser waren, die Probleme hatten und Unterstützung gebraucht hätten, spielte in dieser Betrachtung keine große Rolle. Jetzt schauen wir uns das gemeinsam an. Wir gehen Angebot für Angebot durch und fragen die Leitungskräfte: Was braucht ihr, um aus den negativen Zahlen zu kommen? Oft stellt sich dann heraus, dass es sehr komplexe Zusammenhänge sind, die wir berücksichtigen müssen. Und dass es mehr braucht als ein gutes Wort. Manchmal müssen Vorgehensweisen angepasst oder Konzepte oder sogar die ganze Organisation des Bereiches verändert werden.
Dann arbeiten wir gemeinsam an der Verbesserung - die Mitarbeitenden, die Leitungskräfte und der Vorstand. Augenhöhe ist wichtig dabei. Die Hierarchie spielt in dem Moment keine große Rolle. Am Ende gibt es weniger Beschwerden von außen, weil wir unsere Probleme gleich und gut selbst erkennen, die Klient*innen sind zufriedener und wir sind es auch. Eine offene Fehlerkultur kriegen wir nicht von heute auf morgen hin. Aber jeden Tag ein bisschen mehr. Dazu möchte ich uns alle ermutigen.
Dr. Ellen Ueberschär, Pfarrerin und Vorstandsvorsitzende