Interview mit Sarah Pfeiffer (Ehrenamtliche Mitarbeiterin des Frauenzentrums Treptow-Köpenick)
Sarah Pfeiffer ist eine Frau der Tat und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die lebendige queere Kultur in Berlin Treptow-Köpenick sichtbar zu machen. Die Notwendigkeit für das Thema kennt sie aus eigener Erfahrung. Denn vor drei Jahren hat sie sich entschlossen, ihr Leben neu zu denken, mehr sie selbst zu sein und als Frau zu leben. Seit September 2022 engagiert sie sich ehrenamtlich für die queere Gemeinschaft. Sie organisiert und gestaltet verschiedene Angebote, beteiligt sich an queeren Andachten und schafft Anlässe zur Begegnung. Mit ihr sprach Franziska Limmer-Giwa aus der Unternehmenskommunikation:
Frau Pfeiffer, was hat Sie bewegt sich ehrenamtlich in der Stephanus-Stiftung zu engagieren?
Seitdem ich mich vor drei Jahren dazu entschlossen habe als trans Frau zu leben, habe ich viele Höhen und Tiefen erlebt und wurde in diesem Prozess therapeutisch begleitet. Die Zeit war nicht immer rosig und ich musste lernen, mit meinen Depressionen umzugehen. Also habe ich eine sinnstiftende Aufgabe gesucht. Das Ehrenamt hat sich angeboten, weil es mir die Chance gibt mich auszuprobieren. Also habe ich mich mit dem Frauenzentrum Treptow-Köpenick in Verbindung gesetzt und dort wurde meine Unterstützung dankbar angenommen. Das Ehrenamt hat mir Motivation und einen geregelten Tagesablauf gegeben. Ich habe mich wieder gebraucht und geschätzt gefühlt. Unter anderem habe ich bei Veranstaltungen geholfen und konnte mich dadurch gut vernetzen. In Gesprächen habe ich immer wieder gehört, dass im Kiez Angebote für queere Menschen fehlen. Das war mir nicht bewusst - für mich war es normal, dafür nach Steglitz zu fahren.
Welche Angebote sind Ihrer Meinung nach unverzichtbar und dringlich?
An vorderster Front fehlen tatsächlich Beratungsangebote. Gerade die Zeit, wenn man das innere Coming-Out hat und merkt, dass man irgendwie anders ist, kann sehr verstörend sein. Dazu kommt, dass man bei einer hormonellen Behandlung, egal wie alt man ist, eine zweite Pubertät erlebt. Die Fragen - Wer bin ich eigentlich und wessen Leben habe ich bisher gelebt? – können in eine Sinnkrise stürzen. Da ist Unterstützung einfach notwendig. Als erste Anlaufstelle haben wir in Köpenick den offenen Treff „Queers & Friends“ ins Leben gerufen. Wir treffen uns regelmäßig und man merkt, dass man in seinem Kiez nicht allein ist. Treptow-Köpenick ist sehr bunt – man sieht die Leute nur nicht, da diese Angebote fehlen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass am dringlichsten Anlaufstellen für Opfer von Hass und Beratungsstellen für den Outing-Prozess geschaffen werden müssen. Außerdem brauchen wir eine/-n Queer-Beauftragte/-n im Bezirksamt, um auch in der Politik und Verwaltung gesehen und gehört zu werden.
An welchen Projekten arbeiten Sie momentan?
Neben dem offenen Treff bieten wir einen FLINTA* Empowerment Kurs an. Ich bin sehr dankbar über die Unterstützung des Frauenzentrums Treptow-Köpenick, insbesondere Ute Jaroß. Gemeinsam konnten wir Fördermittel für den Workshop erlangen und können so die queere Community in ihrer Selbstsicherheit stärken. Bei FLINTA* Empowerment geht es nicht nur um Selbstverteidigung, sondern um eine breitere Selbstbestärkung. Wir machen bespielweise viele Übungen zur Körperwahrnehmung, Kommunikation und Stimmführung, um klare Grenzen kommunizieren zu können. Der Kursplan orientiert sich immer an aktuellen Herausforderungen der Teilnehmenden. Zum Beispiel haben wir das nächste Mal einen Gastvortrag zum Thema „Digitale Selbstverteidigung“. Wir sind in unserer Agenda sehr flexibel und können daher an den Bedürfnissen der Teilnehmenden anknüpfen. Wir besprechen jede Woche aktuelle Herausforderungen und finden Lösungen in der Gruppe.
Sie engagieren sich außerdem zusammen mit anderen Initiativen im „Team Queer“ für die Sichtbarkeit der queeren Kultur. Wie ist diese Arbeitsgruppe entstanden und was ist die Motivation dahinter?
Mit Beginn meiner ehrenamtlichen Tätigkeit habe ich angefangen, zusammen mit dem Frauenzentrum, ein Netzwerk aufzubauen, um Menschen für das Thema „Queer“ zu sensibilisieren und zu motivieren. Anfangs war das ein eher loses Netzwerk und daraus ist die Idee entstanden, sich als Arbeitsgruppe zu organisieren und Ressourcen zu bündeln. Zusammen können wir einfach mehr bewegen. Mittlerweile sind wir ein Team aus Einzelpersonen und Initiativen aus Zivilgesellschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Kirche. Unser oberstes Ziel ist es, das queere Leben in unserem Kiez sichtbar zu machen und mehr Angebote zu schaffen. Es ist schön zu sehen, dass das Thema „Queer“ schon mitgedacht wird und ich oft offene Türen einrenne. Viele Institutionen wissen, dass es Handlungsbedarf gibt. Jetzt müssen wir schauen, wie wir das Thema gemeinsam weiterdenken.
Was ist Ihr größter Herzenswunsch für die queere Community?
Das ist ohne Frage Akzeptanz in der Gesellschaft und dafür braucht es Sichtbarkeit und Aufklärungsarbeit. Wir leben in einer Welt voller Veränderungen und wenn dann auch scheinbar feststehende Dinge, wie Geschlechtszugehörigkeit, aufweichen und nicht mehr alle das klassische Familienbild leben, macht das natürlich erstmal Sorge. Das verstehe ich gut! Ich habe den Eindruck, dass die meisten Menschen offen sind, aber es gibt zu wenige Möglichkeiten miteinander ins Gespräch zu kommen. Deshalb müssen wir Raum schaffen, in dem man sich vorurteilsfrei begegnen kann. Auch die queere Community muss dafür offener werden und die Komfortzone verlassen. Wir müssen miteinander sprechen und nicht übereinander.
Sie haben in wenigen Jahren viel verändert und erreicht. Worauf sind Sie besonders stolz?
Wenn man etwas so Fundamentales wie sein Geschlecht hinterfragt, bringt das einiges an Transformation mit sich. Ich habe mit der Transition gelernt zu mir zu stehen und kann heute sagen, dass ich zu mir gefunden habe und ich weiß, wer ich bin. Ich muss mich nicht verstellen und niemandem gefallen. Das war harte Arbeit, denn mein ganzes Weltbild hat sich dadurch verändert.
Was motiviert Sie? Was gibt Ihnen die Kraft weiterzumachen?
Es sind die Momente, in denen man etwas bewegt. Erst gestern hat ein Pärchen aus Texas den Weg zu unserem offenen Treff gefunden. Sie sind kurz vor der Pandemie nach Berlin gekommen und haben in der schwierigen Zeit keinen Anschluss finden können. Das Treffen war sehr emotional. Das sind die schönen Momente, die mir die Kraft geben, weiterzumachen. Dadurch fühle ich mich gebraucht und sehe die Erfolge meiner Arbeit.
Wir bedanken uns für das inspirierende Gespräch und sind sehr dankbar, dass Sarah Pfeiffer die Stephanus-Stiftung tatkräftig unterstützt.
Wer neue Kontakte knüpfen und sich vernetzen möchte, kann sich gerne dem offenen Treff „Queers & Friends“ an jedem zweiten und vierten Mittwoch im Monat von 19.00 Uhr - 22.00 Uhr im CAFE Köpenick anschließen.
Immer dienstags findet im CAFE Köpenick von 18.00 Uhr - 20.00 Uhr ein FLINTA* Empowerment Workshop statt. Mit Kraft- und Technikübungen sowie Einsatz der eigenen Stimme und Körperhaltung werden Selbstbehauptung und Selbstvertrauen gestärkt.
Franziska Limmer-Giwa
Projektmitarbeiterin Unternehmenskommunikation