Zum 1. August wurde ich gefragt: Wird es mit Ihnen eine Neuausrichtung der Stephanus-Stiftung geben? Und habe geantwortet: Soziale Arbeit muss immer neu ausgerichtet werden! Die Gesellschaft wandelt sich, unsere Arbeit im Komplexträger auch. Das Bundesteilhabegesetz hält uns auf Trab, verlangt von langjährigen Kolleginnen und Kollegen viel ab. Nicht nur die lösbare Aufgabe: Wie muss ich heutzutage den Hilfeplan schreiben, sondern es geht um eine Änderung der Haltung. Einer Haltung des Schutzes und der Fürsorge. Sie fällt nicht komplett weg, aber der Gedanke der Assistenz, der Unterstützung von Selbständigkeit, der steht im Vordergrund.
Die Zusammenführung der beiden Sozialgesetzbücher 8 und 9 im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe folgt ebenso dem Gedanken der Inklusion und hat Konsequenzen für unsere Aufstellung und Haltung.
Ist uns eigentlich bewusst, an was für einer Revolution wir da gerade arbeiten? Die Inklusionsrevolution. Jahrhundertelang waren Menschen mit körperlichen, geistigen Einschränkungen, waren Alte und Auffällige abgeschoben in mehr oder weniger geschlossene Anstalten. Das ist lange vorbei. Einerseits. Andererseits steckt unsere Gesellschaft noch immer voller Vorurteile und falscher Vorstellungen.
Dagegen sind Menschen wie der Aktivist Raoul Krauthausen aktiv. Das ist der kleine Herr mit dem schönen Buchtitel: „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.“
Den Vorurteilen und falschen Vorstellungen entgehen wir nicht mit unserer Arbeit. Aber wir erleben sie und wir können widersprechen, wo wir sie direkt oder indirekt hören und sehen. Wir können diskutieren. Jede Kollegin und jeder Kollege, auch in der Altenhilfe, auch in der Küche, auch in den unterstützenden Diensten kann das tun und ist auch dazu verpflichtet.
Alle Kolleginnen haben zugesagt, die Werte der Stephanus-Stiftung zu achten. Im Leitbild steht ein sehr steiler Satz: Wir glauben, dass jeder Mensch Geschöpf Gottes ist. Das bedeutet ja etwas in unserem Arbeitsalltag! Wenn wir genervt, erschöpft, gereizt, manchmal ratlos, empört oder lustlos sind - immer sind unsere Bewohnenden und Klienten Gottes Geschöpfe wie wir selbst. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde. Das ist ein irre hoher Anspruch. Niemand von uns schafft es, dem stets und immer gerecht zu werden.
Aber es ist das eine, einen hohen Anspruch an die Professionalität unserer Arbeit zu haben, und diesen nicht jeden Tag zu 100 Prozent zu erreichen. Es ist etwas anderes, wenn bestimmte Gruppierungen das Klima in der Gesellschaft so drehen wollen, dass dieser hohe Anspruch: Inklusion für ALLE gar nicht erfüllt werden soll.
Mit all der Fröhlichkeit, der Herzenswärme und der Professionalität, die wir in unseren Einrichtungen ausstrahlen, widersprechen wir, wenn es heißt: Inklusion sei ein ideologisches Konzept. Mit anderen Worten: Ein Hirngespinst.
Nein, Inklusion ist unser Anspruch, unsere tägliche Arbeit. Inklusion macht die Welt gerechter und für mehr Menschen lebenswerter. Und das ist vielleicht der größte Wandel, der in Stephanus ansteht: Wir müssen darüber reden und nicht schweigen - unter Kolleginnen und Kollegen, mit Partnern, mit Freunden und in der Öffentlichkeit.
Ich freue mich, wenn Sie mich ansprechen und wir ins Gespräch kommen. Als Vorstand sind wir für Sie da!
Herzlich, und bleiben Sie behütet.
Ihre Pfarrerin Ellen Ueberschär