Lebensbild: Ernst Gottlieb Georg Berendt Sen., Stiftungsgründer

Ernst Gottlieb Georg Berendt Sen., Stiftungsgründer

Ernst Berendt wird am 19. Mai 1842 in Berlin geboren und wächst mit mehreren Geschwistern in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf.

Sein Vater Michael Ernst Berendt (1803-1853) konvertiert im Jahr 1828 vom jüdischen zum evangelischen Glauben und ebnet seinem Sohn somit den späteren Weg zum Pfarrerberuf. 1863 absolviert Ernst Berendt das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Obwohl sein Interesse der Homöopathie sowie der Natur- und Geisteswelt gilt, studiert er anschließend Theologie an der Friedrich-Wilhelm-Universität (heute Humboldt-Universität).

Im Wintersemester 1866/67 besteht Ernst Berendt das erste Examen und beginnt seine praktische Ausbildung, die mit dem heutigen Vikariat vergleichbar ist. Im Dezember 1869 hält er seine Prüfungspredigten in der Jerusalemer Kirche in der damaligen Berliner Friedrichsstadt und besteht erfolgreich das Zweite Theologische Examen. Nach seiner Ordination tritt Berendt seinen Dienst als Hilfsgeistlicher an der Strafanstalt in Sonnenburg (nahe Küstrin) an. Im Juli 1871 heiratet Ernst Berendt die ein Jahr jüngere Arzttochter Anna Emma Kranichfeld. Gemeinsam bekommen sie sieben Kinder. Seine vier Töchter und drei Söhne widmen ihr Leben zu großen Teilen der Arbeit in der später von ihm gegründeten Stiftung und tragen zu ihrem Aufbau bei.
1874 beginnt er als Prediger an der Strafanstalt in Naugard (Hinterpommern, heute Polen). Im April 1877 wird er als Anstaltsgeistlicher an das Königliche Stadtvogtei - Frauengefängnis (Barnimstraße 10, Berlin-Friedrichshain) berufen. Die Arbeit in diesem Gefängnis ist für ihn ein einschneidendes Erlebnis und ein Wendepunkt für seine weitere berufliche Entwicklung.

Entsetzt über die Zustände und tief berührt von den Einzelschicksalen der straffälligen Mädchen und Frauen entschließt sich Ernst Berendt, gegen die Missstände etwas zu unternehmen. Er möchte die Lebenssituation der Mädchen und Frauen, insbesondere nach ihrer Entlassung, verbessern.

Deshalb initiiert er zunächst einen Kreis von Frauen, die die Mädchen im Gefängnis besuchen, sie betreuen und beraten. In dieser Zeit wird auch die Tradition der Weihnachtsfeier mit kleinen Geschenken für die Kinder der inhaftierten Frauen ins Leben gerufen. Ab 1877 richtet Ernst Berendt „Pflegestellen“ ein, bei denen die „Christliche deutsche Familie“ den Entlassenen als Vorbild und Hilfe zur Umkehr dienen soll. Doch der tatsächliche Bedarf ist zu hoch, um auf diese Weise abgedeckt zu werden.

Um den sich abzeichnenden Aufgaben eine solide Grundlage zu geben, gründet Ernst Berendt 1878 die „Bethabara-Stiftung“. Frei finanziert kann er so seine Rettungsarbeit mit den Besuchsdiensten im Gefängnis, den neu eingerichteten Schlaf- und Pflegestellen sowie der Vermittlung in Dienst- bzw. Arbeitsstellen besser voranbringen.

Anfang 1879 mietet er ein Grundstück und ein kleines Häuschen in Weißensee bei Berlin und nennt es Bethabara. Hier nimmt er obdachlose Frauen und Mädchen auf, die aus dem Gefängnis entlassen wurden.

Um die Stiftungsarbeit finanzieren und ausbauen zu können, setzt Pfarrer Berendt im Bereich der Frauengefangenenfürsorge als Erster gezielte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein. Er verfasst Zeitungsartikel über die Not der Mädchen und Frauen. Darin berichtet er über die Einrichtung und wichtige Ereignisse. Seine Ziele publiziert Berendt in Anzeigenblättern und bei öffentlichen Vorträgen in Fachkreisen des Gefängniswesens sowie bei Hilfsvereinen. Dabei ruft er zu Spenden in Kirchengemeinden und Provinzialverwaltungen auf und nimmt ab 1881 Legate an. Auch sucht er mittels Annonce nach geeignetem Personal. Er versteht es sehr gut, mit gezielter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf seine Arbeit und ihren gesellschaftlichen Nutzen aufmerksam zu machen.

Im Jahr 1881 erwirbt Berendt auch Nachbargrundstücke des ersten Hauses Bethabara in Weißensee, so dass er weitere Gebäude dort errichten lassen kann. Die Hilfsangebote richten sich jetzt an alle bedürftigen Frauen in Notlagen, unter anderem auch an unverheiratete Mädchen, die ein Kind erwarten. Ab 1897 können die Mädchen und Frauen ihre Kinder im Haus Beth-Elim zur Welt bringen.

Als Erweiterung kommt ein Krankenhaus für Frauen mit Geschlechtserkrankungen hinzu. Eine der ersten weiblichen Ärztinnen in Deutschland, Dr. med. Agnes Hacker, leitet dieses Krankenhaus. Im Oktober 1909 wird das sogenannte  „Grüne Haus“ in Betrieb genommen. Die Mädchen und Frauen erhalten hier Allgemeinbildung und eine hauswirtschaftliche Ausbildung.
Trotz großen Widerstandes der wohlhabenden Bürger Neu-Weißensees und speziell des Bürgermeisters, errichtet Pfarrer Berendt 1912 eine Station für Schwererziehbare. Im gleichen Jahr legt er seine Ämter als Anstaltsgeistlicher des Frauengefängnisses und des Amtsgerichtsgefängnisses zu Lichtenberg nieder und widmet sich ganz der Stiftungsarbeit. Die entbehrungsreichen, schwierigen Jahre des ersten Weltkrieges, die Aufrechterhaltung der Rettungsarbeit, die Unterstützung der Ärmsten durch Armenspeisung sowie letztendlich die Besetzung der Stiftung am 9. November 1918 durch den sogenannten Soldatenrat zehren an den Kräften des nun über 70-jährigen Ernst Berendt. Im Jahr 1919 verstirbt er im Alter von 76 Jahren. Sein mittlerer Sohn Ernst Berendt Junior übernimmt als Nachfolger die Stiftungsleitung.

Sein ganzes Leben setzte sich Ernst Berendt für gefallene Mädchen und Frauen ein. Er glaubte tief und fest an die gelebte Nächstenliebe und übernahm die damit verbundene Verantwortung für die Schwächsten in der Gesellschaft. Unaufhörlich legte er den Finger in die Wunde der Zeit. Er nutzte die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um das allgemeine Interesse für seine Arbeit zu wecken und sich damit Unterstützung zu sichern. Mit seiner Arbeit für „gefallene Mädchen und Frauen“ entwickelte er als Erster in Preußen ein komplexes, abgestuftes Hilfsangebot für diese Zielgruppe. Dazu zählen u. a. ein Besuchsdienst für die inhaftierten Frauen und deren Angehörige sowie deren Beratung, (Arbeits-) Vermittlung, übergangsweise Unterbringung, Fortbildung und Hilfe bei der Resozialisierung. In Würdigung seiner Verdienste wurde Ernst Berendt am 19. Januar 1908 beim Krönungs-und Ordensfest Seiner Majestät des Kaisers und Königs der „Rote Adlerorden“ 4. Klasse verliehen.

Elena Lorenz und Uwe Gerson
Unternehmenskommunikation


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