Brüssow- Gedenken an die dunklen Seiten unserer Geschichte

Wo Werner Kuss einst wohnte, steht heute eine Grundschule.

175 Jahre Diakonie – Das bedeutet auch mahnendes Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Morde im Rahmen des sog. Euthanasie-Programms. Diakonie heißt hier, Verantwortung zu übernehmen, in dem die Erinnerungen wachgehalten und die Vorgänge aufgearbeitet werden.

Gemeinsam mit der Kirchengemeinde Brüssow erinnerten das Stephanus Seniorenzentrum Haus am See am Sonntag Reminiszere, dem 5. März 2023, in einem Gottesdienst in Brüssow an Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung, die in den 1940er Jahren im damaligen „Rothen Haues“ lebten und von dort aus dem Mord-Programm der sogenannten Operation T4 zum Opfer fielen.  

Namentlich bekannt ist das Schicksal von Horst-Werner Kuss, der 1932 in Berlin, vermutlich mit einer autistischen Störung, zur Welt kam. 1938 wurde er aus der „Städtischen Kindernervenklinik“ in Berlin-Wittenau nach Brüssow verlegt. Wahrscheinlich wurde er 1942 mit allen anderen Kindern des Kinderheims nach Bad Freienwalde umgezogen. 1944 brachte man den Jungen wieder in die Berlin-Wittenauer Kinderfachabteilung im Wiesengrund. Dieses Haus erlangte eine schreckliche Berühmtheit durch die medizinischen Versuche an den Kindern und Jugendlichen, die dort vorgenommen wurden. Über weitere Stationen wurde Horst-Werner Kuss mit anderen am 30. August 1944 in die „Heilanstalt“ Meseritz-Obrawalde (heute in Polen) transportiert und dort am 5. Dezember 1944 ermordet.  

Das damalige „Rothe Haus“ in Brüssow war seinerzeit vom staatlichen Hauptgesundheitsamt sowie von der Kindernervenklinik in Berlin-Wittenau mit der „Kinderfachabteilung im Wiesengrund“ abhängig. Beide Organisationen waren aktiv in die Kinder-Euthanasie-Aktion eingebunden. Seit 1973 ist die Brüssower Einrichtung Teil der Stephanus-Stiftung. Heute leben dort in einem modernen Ambiente Menschen im Alter. Das mahnende Gedenken an die Schicksale früherer Bewohner*innen ist der Stephanus-Stiftung ein wichtiges Anliegen.  

Aus Nächstenliebe eröffneten Christen im Jahre 1847 in Brüssow ein „Rettungshaus“ nach dem Vorbild Johann Hinrich Wicherns. Der gründete 1833 in Hamburg das „Rauhe Haus“ für heimatlose Kinder und Jugendliche. Mit seiner Forderung: „Mut zur ersten kleinen Tat“ begann bereits vor 176 Jahren die sozial-diakonische Arbeit in der Uckermark.


Diakon Martin Jeutner

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