Bundesteilhabegesetz: Zwei Jahre und ein ganzes Stück weiter

Zwei Hände

Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in der Stephanus-Stiftung ist auch in Pandemiezeiten weitergegangen. Immer wieder steht der Theorie die Praxis gegenüber. Um beides gut in Einklang zu bringen, sind viele Bereiche der Stephanus-Stiftung gefordert: Geschäftsbereiche und ihre Mitarbeitenden, Controlling, IT, Facility Management, der Bereich Recht und die Finanzen und viele mehr. Die Idee des modernen Teilhaberrechtes stellt Dr. Frank Frese, Geschäftsbereichsleiter von Wohnen und Assistenz, dem Bürokratiemonster BTHG gegenüber. Das hat Saskia Diering als Referentin des Projekts BTHG gut kennengelernt.

Die Idee des modernen Teilhaberechts
von Dr. Frank Frese

Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für ein leistungsfähiges Rehabilitations- und Teilhaberecht geschaffen. Die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen soll durch mehr Selbstbestimmung und mehr Teilhabe verbessert und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden.

Die übergreifenden Ziele sind Selbstbestimmung, Teilhabe und Sozialraumorientierung.

Aus Sicht des Gesetzgebers sollen sich die Unterstützungsleistungen am persönlichen Bedarf orientieren und personenbezogen ermittelt werden. Das nennt man: Personenzentrierung. Die Bedarfserhebung soll sich an den neun Lebensbereichen der ICF orientieren. Das ist eine internationale Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation der Themen Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Sie ist aufgeteilt in die Bereiche:

  • Lernen und Wissensanwendung
  • Allgemeine Aufgaben und Anforderungen
  • Kommunikation
  • Mobilität
  • Selbstversorgung
  • Häusliches Leben
  • Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen
  • Bedeutende Lebensbereiche
  • Gemeinschaftliches, soziales und staatsbürgerliches Leben.

Die Menschen sollen ihre Teilhabeziele möglichst selbst benennen.

Für uns bedeutet das, dass wir die Ansätze unserer Arbeit überprüfen müssen. In Schlagworten kann man das so benennen:

  • Von der Betreuung zur Assistenz
  • Von der Fürsorge zum Empowerment
  • Von der Fremd- zur Selbstbestimmung
  • Von Dabeisein zur Teilhabe
  • Von der Konzentrierung auf uns selbst zur Sozialraumorientierung.

Für die Lebensqualität der Menschen, die bei uns wohnen, müssen wir diese Ansprüche umsetzen. Wir haben bisher schon vieles richtig gemacht, müssen aber trotzdem jetzt einiges anders machen. Damit haben wir begonnen.
 

Das Bundesteilhabegesetz als Bürokratiemonster
von Saskia Diering

Als im Jahr 2020 die erste Umsetzungsphase in Kraft getreten ist, wurden nicht nur Begrifflichkeiten geändert. Aus dem Stationären Wohnen wurden die Besonderen Wohnformen und alle Menschen, die diese Angebote nutzen, bekamen neue Wohn- und Betreuungsverträge.

Mit den neuen Verträgen kamen auch neue Zahlungsläufe. Die mussten erprobt und manchmal auch nachjustiert werden. So konnte Stephanus bisher dem Kostenträger alle Kosten für „einen Platz im Stationären Wohnen“ gemeinsam abrechnen - eine Rechnung genügte. Inzwischen sind bis zu vier verschiedene Zahlungsläufe notwendig. So ändern sich zum Beispiel die Lebensmittelkosten monatlich und es gibt nun verschiedene Kostenträger, bei denen abgerechnet wird: beim Klient*in selbst, dem Eingliederungshilfe-Träger, Grundsicherungsamt und so weiter.

Auch bei den Trägern der Eingliederungshilfe und Grundsicherung änderten sich Zuständigkeiten. Auch die Behörden mussten ihre Abläufe anpassen und das läuft noch nicht immer reibungslos. Oft müssen Einzelfälle gelöst werden, was zusätzlichen Aufwand bedeutet.

Ein großer Meilenstein der Arbeit kann als erledigt betrachtet werden: Die IT Bestandsoftware ist mit großem Aufwand angepasst. Das muss nun im Echtsystem umgesetzt und in den Wohnangeboten bei den Mitarbeitenden etabliert werden - das heißt: in den Alltag übergehen.

Mit sehr viel mehr Zahlungsbedingungen und Zahlungsmöglichkeiten als zuvor, sind der Bereich Finanzen und die IT herausgefordert und mit Anpassungen beschäftigt. Die veränderte Abrechnungsthematik muss auch im Controlling abgebildet werden und erfordert somit einen kompletten Systemwechsel.

Richtig herausfordernd ist der Streit um Flächenzuordnung mit den Trägern der Eingliederungshilfe. Das bekommen auch besonders die Menschen zu spüren, die bei uns wohnen. Da die Flächen Ausgangspunkt der Kalkulationen sind, gibt es wenig Klarheit und Planungssicherheit und das können wir leider auch den Klient*innen nicht ersparen.

Auch die Konzeptionen der Angebote und die Leistungsvereinbarungen hängen an der Flächenabstimmung. So können derzeit Fachleistungen nur unter Vorbehalt vereinbart werden - auf Grund von fehlender Flächenabstimmung.

Das hat auch Einfluss auf die Wirtschaftsplanung, die alle Veränderungen berücksichtigen muss. Auch das Berichtswesen im Controlling muss an neue Anforderungen angepasst werden. Das Zauberwort hier heißt: Nachweisführung.

Alles in allem ist der Verwaltungsaufwand deutlich gestiegen. Zum Beispiel, wenn in den Wohnangeboten die Informationsschreiben rausgehen und neue Vertragsdokumente mit vielen Anlagen verschickt werden müssen. Es ist auch eine umfangreichere Dokumentation und neue vertragliche Regelungen erforderlich, wenn ein Klient z.B. in ein anderes Zimmer umziehen möchte. Immer wieder müssen Einzelfälle mit den Behörden, dem Bereich Finanzen und dem Geschäftsbereich abgestimmt werden. Für diese Formalitäten wird viel Zeit benötigt.

Und auch für die Klient*innen und ihre gesetzlichen Vertretungen bedeutet das: viele Informationen und viele Anträge. Außerdem das Auseinandersetzen mit zahlreichen Rechnungen und Regelungen und das Einrichten von Konten und Überweisungen. Die hohe Komplexität bedeutet auch viel Verunsicherung und einen hohen Aufwand. Und das trägt momentan nicht zur Verbesserung der Lebensqualität bei.

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