Das Ziel der damaligen Rettungshausbewegung war die „Rückführung der anvertrauten Kinder aus ihrer sittlichen Verwahrlosung hin zu einem christlichen Leben“. Das Konzept bestand aus strenger Erziehung, einer vollwertigen Schulbildung und Arbeit in der Landwirtschaft oder einem Handwerk.
Der erste Bewohnerim Rettungshaus Coethen war Friedrich Sadetzky. Die Leitung des Hauses übernahm Julius Johann Eberhard Firus. Er hatte seine Ausbildung bei Johann Hinrich Wichern in der Brüderanstalt des Rauen Hauses in Hamburg bekommen. Firus verstarb am 11. Januar 1876 an Typhus. Sein Grab befindet sich noch heute auf dem Coethener Friedhof.
Finanziert wurde das Haus zunächst aus privaten Spenden. Durch Stiftungen und Vermächtnisse konnten dann An- und Umbauten finanziert werden.
Im Jahr 1878 trat das Gesetz über die Zwangserziehung verwahrloster Kinder in öffentlichen Anstalten in Kraft und verdoppelte die Anzahl zu betreuender Kinder. Dafür war das Haus zu klein.
Neubau in Bad Freienwalde
Deshalb erwarb der „Kirchliche Fürsorge- Erziehungs- und Rettungshaus-Verband der Provinz Brandenburg in Berlin“ ein Grundstück in der Frankfurter Straße in Bad Freienwalde und errichtete dort das heutige Waldhaus. Am 1. November 1911 zogen 80 Kinder und Jugendliche ein.
Die Kinder kamen aus Berlin oder den Provinzen in Brandenburg. Dort lebten sie bis zu ihrem 14. Lebensjahr. Wenn sie geistig und körperlich fit waren, konnten sie als Lehrlinge in die Landwirtschaft oder in einen Handwerksbetrieb gehen.
In den Kriegsjahren 1938 bis 1945 hatte das „Coethener Rettungsheim“ mit zunehmendem Personalmangel zu tun. Im August 1942 wurde es nach Brüssow in die Uckermark verlegt und arbeitete dort als „Haus am See“ weiter. Dafür zog das „Brüssower Kinderheim für nervenkranke Kleinkinder“ mit einer Säuglingsabteilung in die leeren Räume des Hauses in Freienwalde.
Die Belegung erfolgte überwiegend durch die städtische Nervenklinik für Kinder Berlin-Wittenau, die sich später maßgeblich an der nationalsozialistischen Euthanasie beteiligte. Nach Kriegsende kamen zu den ca. 70 Kindern mit geistiger Behinderung viele elternlose Flüchtlingskinder hinzu. Sie wurden von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreut.
Als Leiterin stand dem Haus Diakonisse Schwester Gabriele Kirchner vor. Sie musste besonders mit dem Hunger der Nachkriegszeit kämpfen. Die Dualität von Kindern mit geistiger Behinderung und geflüchteten Kindern erschwerte die Betreuung zusätzlich. Im Laufe der nächsten Jahre entwickelte sich das Heim zum „Spezialkinderheim Waldhaus“ unter der Verantwortung des „Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerkes“, dessen Schwerpunkt die Betreuung von mehrfach schwerstbehinderten Kindern war.
1973 übernahm die Stephanus-Stiftung die Verantwortung im Waldhaus. Unter der Leitung des von 1980 bis 2009 tätigen Diakons Christian Schoeneich wurde es mehrfach erweitert und umgebaut. Finanziert wurde die Arbeit von kirchlichen und staatlichen Stellen, bekam jedoch auch finanzielle und materielle Unterstützung aus privaten Spenden.
Im Rahmen von Rehabilitationsarbeitsverträgen konnten seit 1986 einige Bewohnerinnen und Bewohner u.a. in staatlichen Betrieben in Bad Freienwalde arbeiten. Andere arbeitstherapeutische Bereiche waren Spinnen und Weben, sowie die Wäscherei.
Nach dem Fall der Mauer war das Waldhaus Ausgangspunkt für eine Erweiterung des Angebots der Stephanus-Stiftung im Raum Bad Freienwalde. In der Laurentiusschule lernen Kinder mit geistiger Behinderung. In den Stephanus-Werkstätten gGmbH sind Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung beschäftigt. Für das ehemalige Seniorenheim in der Beethovenstraße gibt es heute ein modernes Haus in der Frankfurter Straße. In diesem Jahr eröffnet die Stephanus-Stiftung auf dem Waldhausgelände einen Neubau, in dem Menschen mit Behinderung zuhause sind.
Das Beispiel des Waldhaus Bad Freienwalde zeigt, wie sich seit 160 Jahren die soziale Arbeit zunächst für Jungen in Rettungshäusern und später für Menschen mit und ohne Behinderung entwickelt hat. Heute bietet die Stephanus-Stiftung verschiedene soziale Dienste in der Region an. Diese werden von mehr als 1.200 Personen in Anspruch genommen. Die rund 380 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen eine hohe Verantwortung und identifizieren sich mit den Werten und Zielen der Stephanus-Stiftung. Dabei ist die christliche Grundhaltung die Basis unserer Arbeit.