Oksanas lange Heimreise

Oksana konnte im Krematorium würdevoll ausgesegnet werden.

Der Stephanus-Hospizdienst begleitete im letzten Jahr eine schwerkranke Mutter von fünf Kindern aus der Ukraine. Über seine besonderen Erfahrungen hat Hospizmitarbeiter Frank Wappler einen sehr bewegenden Bericht geschrieben:

Seit dem groß angelegten Angriff auf die Ukraine durch die russische Armee im Februar 2022 ist dort nichts mehr, wie es war. Die Ukraine befindet sich im Krieg. Ein Krieg in Europa, direkt vor unserer Tür. Familien werden auseinandergerissen. Frauen und Kinder sind auf der Flucht. Männer, egal welchen Alters sind plötzlich Soldaten und werden von ihren Familien getrennt. Das „normale“ Leben bricht zusammen und damit auch die medizinische Versorgung. Das gesamte Land ist im Ausnahmezustand. Hier beginnt die lange Reise von Oksana.

Geboren wurde sie 1977 in Dnipropetrowsk. Damals Teil der Sowjetunion, heute Ukraine.

Auf der Flucht vor dem Krieg und in der Hoffnung auf medizinische Hilfe kommt Oksana Mitte Januar 2023, bereits schwer erkrankt, nach Deutschland. Ihr 13-jähriger Sohn begleitet sie. In der Ukraine leben ihre anderen vier Kinder bei ihrer Schwester, im vermeintlich sicheren Teil der Ukraine.

Unser Hospizdienst erhielt am 10. Februar 2023 ein Anruf aus dem Helios-Klinikum Berlin-Buch, in dem wir um Unterstützung gebeten wurden. Oksana war zu diesem Zeitpunkt bereits aus einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Buchholz auf die onkologische Station der Klinik verlegt. Eine Heilung ihrer Erkrankung war nicht mehr möglich.

Schwer krank in einem fremden Land und mit einer fremden Sprache war schnell klar, dass hier eine „andere“ Hilfe gefragt ist. Die Verlegung auf die Palliativstation erfolgte kurze Zeit später. Das war ein Segen. Wir organisierten einen Dolmetscher für den medizinischen Bereich. Ihr Sohn wurde bei einer guten Freundin von Oksana in Süd-Deutschland aufgenommen.

Aber wer ist für Oksana da? Mein Russisch beschränkt sich nur noch auf einzelne Vokabeln aus meiner Schulzeit. Manchmal liegt das Gute so nah. Unsere Pastorin Tatiana Wagner war sofort hilfsbereit. Sie konnte mit Oksana in ihrer Muttersprache über Heimat, Familie, Gott und die Welt sprechen. Das schaffte Vertrauen und etwas Zuversicht. Pastorin Wagner bekam einen guten Kontakt zu Oksana und auch zu ihrer Familie in der Ukraine.

Für alle dann unerwartet verstarb Oksana am 1. März 2023. Sie wurde 46 Jahre alt. Ihr größter Wunsch war es, nach Hause zu kommen. Ein Versprechen, welches wir ihr und ihrer Familie gegeben hatten.

In der Regel sollte es nicht länger als sechs Wochen dauern. Doch hier war alles anders. Wer ist der Bestatter? Wer übernimmt die Kosten? Wer übernimmt die Überführung in die Heimat und wohin dort genau? Das Unternehmen „Memento Bestattungen“ war sofort bereit, uns zu unterstützen und optimistisch bereiteten wir die Heimreise von Oksana vor.

So war es ein langes Ringen um behördliche Zuständigkeiten und Befindlichkeiten, gepaart mit unserer Unerfahrenheit in einem solch speziellen Fall. Doch der unbedingte Wille, Oksanas Wunsch zu erfüllen, ließ uns durchhalten.

An ihrem Sarg konnten wir eine Verabschiedung von Oksana organisieren. Pastorin Tatiana Wagner sprach Worte in ihrer Sprache und gab ihr den letzten Segen. Das war am 19. Mai 2023. Nach nun folgenden unzähligen Terminen bei Gerichten, Landesämtern und der ukrainischen Botschaft war es am 6. Oktober 2023 endlich so weit: Wir haben Oksana aus der Anonymität des Krematoriums abgeholt und die Aschekapsel an das Bestattungsunternehmen übergeben. Oksanas Asche konnte am 27. November 2023 durch die Unterstützung von Stephanus Migration und Integration sowie des Bezirksamtes Pankow per Hilfstransport ihre letzte Reise in die Heimat antreten. Am 1. Dezember 2023 wurde ihre Asche an Oksanas Familie in der Ukraine übergeben. Neun Monate hatte ihre letzte Reise gedauert.

Ich möchte an dieser Stelle allen von Herzen für ihre Unterstützung danken: Den Palliativstationen und dem Sozialdienst im Helios-Klinikum, dem Bestattungsunternehmen Memento, Pastorin Tatiana Wagner, Julia Morais von Stephanus Migration und Integration, Frau Illienko aus dem Bezirksamt Pankow, Frau Soltys und die freundliche Dame vom Amtsgericht Mitte, welche die Beglaubigung der Urkunden für unseren Dienst sehr schnell und kostenfrei übernahm. Danke an alle, die im Hintergrund mitgewirkt haben und an mein Hospizteam. Ihr seid großartig.


Frank Wappler
Koordinator Stephanus-Hospizdienst

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